Treue Genossen
und die Welt drehte sich weiter.
In der Kantine von Tschernobyl gab es Borschtsch, Brötchen, Tomatensalat, Fleisch und Kartoffeln, Pudding, Limonade und Tee, doch Arkadi hatte den Eindruck, dass die Abordnung der British Friends of the Ecology verunsichert war, keinen rechten Appetit hatte und den Speisen nicht traute. Zudem wurden sie offenbar von den dick geschminkten und unablässig wuselnden Serviererinnen eingeschüchtert, die früher mal Trapezartistinnen hätten gewesen sein können.
Alex stand auf und spielte den Gastgeber. »Wir heißen unsere britischen Freunde willkommen, insbesondere Professor Ian Campbell, der uns eine Woche lang Gesellschaft leisten wird.« Alex wies auf einen dunkelblonden Mann mit Bart, der aussah wie der ewige Versager. »Professor, möchten Sie uns ein paar Worte sagen?«
»Sind die Zutaten zu den Speisen hier in der Gegend produziert worden?«
»Ob die Zutaten zu den Speisen hier in der Gegend produziert worden sind?«, wiederholte Alex. Er genoss die Frage wie den Rauch seiner Zigarette. »Wir sind zwar noch nicht so weit, dass wir sie mit dem Stempel Erzeugnis aus Tschernobyl versehen, aber ja, ein Großteil wurde in der Tat in der näheren Umgebung produziert und geerntet.« Alex nahm einen besonders tiefen Zug. »Tschernobyl gehört nicht zum Schwarzerdegebiet der Ukraine, das für seinen Weizen berühmt ist. Wir haben hier sandigere Böden, die sich eher für den Anbau von Kartoffeln und Rüben eignen. Das Blattgemüse stammt aus der Gegend, die Zitronen in der Limonade nicht, und der Tee kommt meines Wissens aus China. Wünsche guten Appetit!«
Eine weitere Frage wanderte den Tisch herauf, ehe Alex Platz nehmen konnte.
»Ach, ob die Speisen verstrahlt sind? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie hungrig man ist. Zum Beispiel entschädigt dies üppige Mahl die hier Beschäftigten für die schlechte Bezahlung. Ihre Arbeit wird sowohl mit Kalorien als auch mit Geld vergütet. Die Kellnerinnen sind zu alt, aber äußerst kokett, gewissermaßen eine Varietenummer für sich. Und das Essen? Milch ist gefährlich, Käse nicht, weil die Radionuklide im Wasser und im Albumin bleiben. Von Schalentieren ist abzuraten, von Pilzen erst recht. Gab es heute Pilze?«
Während die Friends bedrückt ihr Essen betrachteten, nahm Alex Platz und zerteilte energisch sein Fleisch. Vanko stellte einen Suppenteller neben Arkadi und setzte sich. Der Wissenschaftler sah ziemlich derangiert aus »Haben Sie irgendwas davon verstanden?«, fragte er Arkadi.
»Genug. Will Alex seinen Rausschmiss provozieren?«
»Das würden sie nicht wagen.« Er löffelte bedächtig seine Suppe. »Das ist das Hausmittel meiner Großmutter gegen Kater. Man braucht nicht mal zu kauen.«
»Warum würden sie es nicht wagen?«
»Er ist zu prominent.«
»Ach.« Arkadi kam sich plötzlich ungebildet vor.
»Er ist Alex Gerasimow, der Sohn von Felix Gerasimow, dem Akademiemitglied. Mit Felix finanzieren die Russen das Forschungsprojekt, ohne ihn nicht.«
»Warum geht er nicht einfach?«
»Die Arbeit ist zu interessant. Er sagt, er will lieber tot als lebendig von hier weg. Gestern Abend war es noch lustig. Sie hätten nicht gehen sollen.«
»Das Cafe hat zugemacht.«
»Wir haben noch weitergefeiert. Es war ein Geburtstag. Wissen Sie, wer wirklich trinkfest ist?«
»Wer wirklich trinkfest ist?« Aus Vankos Mund klang das wie das höchste Lob.
»Doktor Kaska. Die verträgt was. Sie war in Tschetschenien, als Freiwillige und bei den richtigen Einsätzen dabei.«
Vanko tunkte den Teller mit Brot aus, und Alex bereitete es sichtlich Vergnügen, die Gäste an der langen Tafel dazu zu drängen, tüchtig zuzulangen.
»Sie haben gestern Abend von Wilderern gesprochen«, sagte Arkadi.
»Nein, Sie haben von Wilderern gesprochen«, erwiderte Vanko. »Ich dachte, Sie suchen den >Selbstsiedler<, der den Millionär aus Moskau gefunden hat.«
»Vielleicht. Im Bericht stand >Selbstsiedler<, aber solche Leute bleiben in aller Regel in Pripjat. Sie ziehen Wohnungen vor. Ich habe den Eindruck, dass die schwarzen Dörfer eher was für alte Leute sind.«
Ein in Öl schwimmender Salat ersetzte Vankos Suppe. Er hob erst wieder den Kopf, als er sich das letzte Salatblatt vom Kinn gewischt hatte. »Hängt von dem Siedler ab.«
»Ich glaube nicht, dass Siedler viel Zeit auf Friedhöfen verbringen. Da gibt es keinen Schlafplatz und nichts zu stehlen.«
»Mögen Sie Ihre Kartoffeln nicht? Die sind von hier.«
»Bedienen
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