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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Sie sich.« Arkadi schob den Teller hinüber. »Erzählen Sie mir von den Wilderern.«
    Vanko sprach zwischen den Bissen. »Die guten Wilderer sind von hier. Wer sich nicht auskennt, kann in extrem verseuchte Winkel geraten. Entweder sie bereichern ihren Speisezettel mit Fleisch, oder sie bekommen eine Bestellung von einem Restaurant, damit der Küchenchef Wild auf die Karte setzen kann.«
    »Ein Restaurant in Kiew?«
    »Oder Moskau. Gourmets mögen Wildschwein. Das Problem ist nur, dass Wildschweine gern nach dicken, großen verseuchten Pilzen wühlen. Halten Sie sich lieber an Schweine, die Abfälle fressen.«
    »Wird ich mir merken. Untersuchen Sie Wildschweine?«
    »Wildschweine, Elche, Mäuse, Turmfalken, Welse und Schalentiere, Tomaten und Weizen, um eine kleine Auswahl zu nennen.«
    »Sie müssen doch ein paar Wilderer kennen«, meinte Arkadi.
    »Wieso gerade ich?«
    »Sie stellen Fallen auf.«
    »Selbstverständlich.«
    »Wilderer stellen auch Fallen auf. Vielleicht plündern sie sogar hin und wieder Ihre.«
    »Schon.« Vanko kaute langsamer wie ein Wiederkäuer.
    »Ich möchte niemanden festnehmen. Ich möchte nur nach Timofejew fragen. Wann genau er gefunden wurde, wie er dalag, in welchem Zustand er war, ob sein Wagen in der Gegend gesehen worden ist.«
    »Ich dachte, sein Wagen ist auf Belas Autofriedhof gefunden worden. Ein BMW.«
    »Aber irgendwie muss Timofejew ja hingekommen sein.«
    »Der Fußweg zum Dorffriedhof ist für ein Auto zu schmal.«
    »Sehen Sie, genau solche Informationen brauche ich.«
    Unterdessen hatte sich Alex wieder erhoben und brachte einen Toast aus. »Auf den Wodka, die erste Waffe im Kampf gegen die Strahlung.«
    Darauf tranken alle.

Bei Tageslicht, wenn Bäume sich im Wind wiegten und den Anschein von Leben erweckten, war es in Pripjat noch schlimmer. Arkadi sah die langen Schlangen von Menschen förmlich vor sich. Wie sie sich nach ihren Wohnungen umblickten, in denen ihre ganze Habe zurückblieb, Kleider, Fernsehgeräte, Orientteppiche, die Katze im Fenster. Wie Erwachsene widerspenstige Kinder zogen, verwirrte Alte schoben, Säuglinge vor der Sonne schützten. Ohren verschlossen sich der Frage nach dem Warum. Geduld war ein Muss, als die Ärzte an alle Kinder Jodtabletten ausgaben, allerdings zu spät. Zu spät, weil die offiziellen Stellen anfangs behauptet hatten, dass der radioaktive Kern unversehrt sei, obwohl jeder sah, dass der nur zwei Kilometer entfernte Reaktor in Flammen stand. Kinder gingen in die Schule, obwohl sie neugierig nach den Hubschraubern schielten, die um die schwarze Rauchsäule kreisten, und über den grünen Schaum in den Straßen staunten. Erwachsene kannten den Schaum aus dem Kraftwerk und wussten, dass er vor versehentlich freigesetztem radioaktivem Material schützen sollte. Kinder wateten durch den Schaum, formten Bälle daraus, spielten mit ihm Fußball. Die misstrauischeren Eltern riefen auswärtige Freunde an, um herauszufinden, ob man ihnen etwas verschwieg, aber nein, in Kiew, Minsk und Moskau liefen die Vorbereitungen für die Maifeiern auf Hochtouren. Kostüme und Transparente wurden fertig gestellt. Keine Kundgebung war abgesagt worden. Und dennoch: Wer ein Fernglas besaß, kletterte aufs Dach seines Wohnblocks und beobachtete, wie drüben am Reaktor Feuerwehrleute von riesigen Leitern kletterten und schwarze Blöcke nach unten trugen. Kein Feuerwehrmann blieb länger als sechzig Sekunden oben. Pripjat durfte nur verlassen, wer bei der Brandbekämpfung half, und diejenigen, die vom Kraftwerk zurückkehrten, litten unter Schwindelgefühlen und Übelkeit, hatten merkwürdig braune Haut. Jodtabletten in Supermärkten waren ausverkauft. Kinder wurden von der Schule nach Hause geschickt mit der Anweisung, zu duschen und die Mutter zu bitten, ihre Kleider zu waschen, obwohl das gesamte Wasser der Stadt zum Brandherd umgeleitet worden war. In den Fernsehnachrichten aus Moskau hieß es, in Tschernobyl habe sich ein Störfall ereignet, doch man habe alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen und das Feuer eingedämmt. Schließlich durfte überhaupt niemand mehr Pripjat verlassen. Erst drei Tage nach dem Unglück wurde die Stadt evakuiert. Elfhundert Busse brachten die fünfzigtausend Einwohner fort. Ihnen wurde gesagt, man bringe sie in einen Ferienort, sie sollten leichte Kleidung, Ausweispapiere und Familienfotos mitnehmen. Als die Busse losfuhren, lagen überall Bilder verstreut, und Kinder winkten Hunden, die hinterherrannten.
    So weckte jetzt

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