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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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die Wände, die mit bestickten Tüchern, Gobelins, die Waldszenen darstellten, Familienfotos und im Lauf der Jahre gesammelten Bildkalendern geschmückt waren. Fotos zeigten einen jüngeren Roman und eine jüngere Maria, ihn mit Gummischürze, sie mit einer riesigen Knoblauchgirlande in der Hand, zusammen mit einer Gruppe von Städtern, bei denen es sich eigentlich nur um ihren Sohn und seine Familie, eine schüchterne Frau und ein mageres Mädchen von ungefähr vier Jahren, handeln konnte. Auf einem separaten Foto war das Mädchen etwa ein Jahr älter. Es posierte mit Sonnenhut neben einem rostfleckigen Schild, auf dem »Havana Club« stand.
    Maria hatte sich für den heutigen Abend herausgeputzt. Sie trug eine bestickte Bluse, eine Schürze und ein Schultertuch mit Fransen, und unter ihren leuchtenden blauen Augen blitzte ein stählernes Lächeln. Trotz der drangvollen Enge war sie überall gleichzeitig, trug Schüsseln mit Salatgurken und eingelegten Pilzen auf, saure Gurken in Honig, dicke und dünne Würste, Apfelsalat, Kraut in Sauerrahm, dunkles Brot mit selbst gestampfter Butter und eine große Platte mit Speck, der wie Alabaster glänzte.
    »Denken Sie nicht einmal an Ihr Dosimeter«, raunte Alex Arkadi zu.
    »Wie oft essen Sie hier?«
    »Wenn ich mich wie ein Glückspilz fühle.«
    Draußen knatterte ein Autoauspuff, und im nächsten Augenblick erschien Eva Kaska mit Blumen. Sie trug wieder ein Halstuch. Offenbar gehörte das zu ihrem persönlichen Stil.
    »Renko«, sagte sie, »ich wusste gar nicht, dass Sie kommen wollten. Sind Sie dienstlich hier?«
    »Nein, rein privat.«
    »Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.« Roman stellte kleine Wassergläser und eine Flasche auf den Tisch. Dafür, dass es noch keinen Wodka gegeben hatte, war die Party schon ziemlich alt, dachte Arkadi. Vanko sah so aus, als sei er auf allen vieren zu einem Wasserloch gekrochen. Der Gastgeber goss jedes Glas randvoll, und Maria beobachtete stolz, wie er sie verteilte, ohne einen Tropfen zu verschütten. »Warten Sie!«
    Gebieterisch entzündete Roman ein Streichholz und hielt es an sein Glas wie an eine Kerze. Eine gelbe Flamme züngelte über die Flüssigkeit. »Gut. Er ist trinkbar.« Er blies die Flamme aus und erhob sein Glas. »Auf Russland und die Ukraine. Mögen wir im selben Graben liegen.«
    Arkadi kippte sein Glas hinunter und schnappte nach Luft.
    »Das ist kein Wodka.«
    »Samogon.« Alex wischte sich die Augen. »Selbstgebrannter aus vergorenem Zucker, Hefe und eventuell etwas Kartoffel. Viel purer als der geht nicht.«
    »Wie pur?«
    »Um die achtzig Prozent.«
    Der Samogon tat seine Wirkung. Eva sah noch gefährlicher aus, Vanko noch würdevoller, Roman bekam rote Ohren, und Maria glühte. Man wandte sich feierlich den Speisen zu, während Roman eine zweite Lage einschenkte. Die Essiggurken waren ganz nach Arkadis Geschmack, knackig und sauer, vielleicht mit einem Hauch Strontium. »Sie waren mit Vankos Boot angeln?«, fragte Roman. »Haben Sie was gefangen?«
    »Nein, aber ich habe einen sehr großen Fisch gesehen. Einen Tschernobyl-Riesen, wie die Leute hier sagen.« Er bemerkte, dass Vanko Alex angrinste. »Wissen Sie Näheres über diesen Fisch?«
    »Den Wels?«, fragte Eva. »Da hat sich Alex einen Scherz erlaubt.«
    »Wels ist Wels«, meinte Vanko.
    »Nicht ganz«, widersprach Alex. »Die Leute hier sind den Kanalwels gewohnt, der armselige ein bis zwei Meter lang wird. Irgendjemand, keine Ahnung, wer, hat hier offenbar Donauwelse ausgesetzt. Die werden bis zu fünf Meter lang und länger und wiegen gut vierhundert Kilo. Das ist beachtlich.«
    »Ein makabrer Scherz«, sagte Eva. »Wenn es nach Alex ginge, würde sich in Europa eine Seuche ausbreiten und alle Menschen dahinraffen, nur um Platz zu schaffen für seine blöden Tiere.«
    »Anwesende natürlich ausgenommen«, erwiderte Alex.
    Maria lächelte. Das Fest ließ sich anscheinend gut an.
    »Worauf sollen wir trinken?«, fragte Roman.
    »Auf das Vergessen«, schlug Alex vor.
    Obwohl Arkadi auf seinen zweiten Samogon besser vorbereitet war, wich er zurück. Eva stöhnte über die Hitze. Sie lockerte ihr Halstuch, nahm es aber nicht ab.
    Maria empfahl Arkadi, eine Scheibe Speck zu essen. »Das schmiert den Magen.«
    »Eigentlich fühle ich mich schon genug geschmiert. Ist das Foto von dem Mädchen vor dem >Havana Club< eigentlich in Kuba aufgenommen worden?«
    »Ihre Enkelin«, klärte ihn Vanko auf.
    »Sie heißt Maria, nach mir«, sagte

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