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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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der Stimmung noch in der Verfassung für ein weiteres einseitiges Gespräch mit einem Gartenzwerg. Er lehnte sich zurück, sog die kühle Luft ein und beobachtete, wie sich Wolken vor den Mond schoben, wie mal Licht, mal Schatten auf das Haus fiel. Im Stall scharrte die Kuh, irgendwo knackte ein Zweig, und er fragte sich, ob dies eine Nacht war, in der Wölfe umherstreiften.
    »Bist du noch dran?«, fragte Arkadi. Er bekam keine Antwort, er bekam nie eine Antwort. »Ich habe Baba Jaga gesehen. Ich stehe jetzt im Moment vor ihrem Haus. Ich kann nicht sagen, ob ihr Zaun aus Knochen ist, fest steht nur, dass sie Stahlzähne hat.« Arkadi hörte oder glaubte zu hören, wie am anderen Ende Ohren gespitzt wurden. »Ihren Hund und ihre Katze habe ich noch nicht gesehen, aber sie hat eine unsichtbare Kuh, die unsichtbar bleiben muss wegen der Wölfe. Vielleicht hat es die Wölfe aus einer anderen Geschichte hierher verschlagen, aber sie sind hier. Und eine Seeschlange. In ihrem Teich hat sie eine Seeschlange, so groß wie ein Wal, mit langen Bartfäden. Ich habe gesehen, wie die Seeschlange einen Mann ganz verschlungen hat.« Am anderen Ende war deutlich ein Rascheln zu vernehmen, und Arkadi versuchte, sich weitere Einzelheiten des Märchens in Erinnerung zu rufen. »Das Haus ist sehr eigenartig. Es steht tatsächlich auf Hühnerbeinen. Im Moment dreht es sich langsam. Ich muss leiser sprechen, damit sie mich nicht hört. Ihren Zauberkamm, der sich in einen Wald verwandeln kann, habe ich noch nicht gesehen, dafür aber einen Garten mit giftigen Früchten. Alle Häuser ringsherum sind ausgebrannt, und überall spukt es. In zwei Tagen rufe ich wieder an. Es ist wichtig, dass du bis dahin im Heim bleibst und deine Schularbeiten machst, und vielleicht solltest du dich mit jemandem anfreunden, es könnte nämlich sein, dass wir Hilfe brauchen. Ich muss jetzt Schluss machen, bevor auffällt, dass ich fort bin. Gib mir noch mal die Direktorin.«
    Der Hörer wurde weitergereicht, und Olga Andriwna meldete sich wieder. »Was haben Sie ihm erzählt? Er macht einen viel besseren Eindruck.«
    »Ich habe ihm gesagt, dass er Bürger eines neuen stolzen Russland ist und sich entsprechend benehmen soll.«
    »Ganz bestimmt. Aber was Sie auch gesagt haben, es hat seinen Zweck erfüllt. Kommen Sie jetzt nach Moskau? Ihre Arbeit müsste doch allmählich getan sein.«
    »Noch nicht ganz. Ich rufe in zwei Tagen wieder an.«
    »Die Ukraine saugt uns aus bis aufs Blut.«
    »Gute Nacht, Olga Andriwna.«
    Als Arkadi das Handy wegsteckte, trat Eva aus dem Garten und klatschte lautlos Beifall. »Ihr Sohn?«, fragte sie. »Nein.«
    »Ein Neffe?«
    »Nein, nur ein Junge.«
    Sie verlagerte ihr Gewicht wie eine Katze, die es sich bequem machte.
    »Baba Jaga! Was für eine Geschichte. Sie können ja doch unterhaltsam sein.«
    »Ich dachte, Sie wären fort.«
    »Noch nicht ganz. Dann sind Sie zurzeit also mit niemandem zusammen? Mit keiner Frau?«
    »Nein. Und Sie? Sind Sie und Alex verheiratet oder geschieden? Leben Sie getrennt?«
    »Geschieden. Ist das so offensichtlich?«
    »Ich dachte, mir wäre etwas aufgefallen.«
    »Was Ihnen aufgefallen ist, sind die Nachwirkungen einer früheren Katastrophe, ein Bombenkrater.« Fahles Licht drang durch den Vorhang am Fenster und ließ ihre Augen noch dunkler erscheinen. »Ich liebe ihn immer noch. Nicht so, wie Sie Ihre Frau geliebt haben. Ich spüre, dass Sie eine von diesen wunderbaren, vertrauensvollen Liebesbeziehungen hatten. Wir nicht. Unsere war eher . melodramatisch, um es mal so auszudrücken. Wir waren beide nicht unvorbelastet. Ohne eine Macke können Sie in der Zone nicht leben. Wie lange gedenken Sie noch zu bleiben?«
    »Ich habe keine Ahnung. Der Staatsanwalt würde mich wohl am liebsten für immer hier lassen.«
    »Bis Sie ebenfalls eine Macke haben?«
    »Mindestens.«
    Das Beunruhigende an Eva Kaska war diese Mischung aus Wildheit und Verletzlichkeit. Sie war in Tschernobyl und Tschetschenien gewesen? Vielleicht war das ihre Welt. Er entnahm ihrem Lächeln, dass sie ihm eine zweite Chance gab, etwas Interessantes oder Tiefsinniges zu sagen, doch sein Kopf war leer. Er hatte seine Phantasie für Baba Jaga verausgabt.
    Die Tür ging auf. Alex streckte den Kopf heraus und rief: »Ich bin dran.«
    »Unserem neuen Freund Arkadi sind möglicherweise nicht alle Fakten bekannt. Fakten sind wichtig. Fakten sollten nicht vernachlässigt werden.«
    »Du bist betrunken«, sagte Eva.
    »Das versteht sich von

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