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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Maria.
    »Jedes Jahr nimmt Kuba Kinder aus Tschernobyl zur Behandlung auf«, erklärte Alex. »Dort ist es sehr schön, viele Palmen und Strände, nur leider ist Sonne das Letzte, was diese Kinder brauchen.«
    Arkadi begriff, dass er ein unangenehmes Thema angeschnitten hatte. Roman räusperte sich und sagte: »Wir sitzen ja nicht. Das gehört sich nicht. Setzen wir uns doch.«
    In der Hütte gab es lediglich zwei Stühle, und die Bank bot nur Platz für zwei. Alex zog Eva auf seinen Schoß, Arkadi blieb stehen.
    »Hand aufs Herz«, sagte Alex, »wie kommen Sie mit Ihrer Untersuchung voran?«
    »Überhaupt nicht«, antwortete Arkadi. »Ich habe nie weniger Fortschritte gemacht.«
    »Sie sagten ja, dass Sie kein guter Ermittler sind«, erwiderte Eva.
    »Wenn ich also sage, dass ich nie weniger Fortschritte gemacht habe, so will das was heißen.«
    »Hoffen wir, dass Sie nie Fortschritte machen«, meinte Alex.
    »Dann bleiben Sie uns erhalten.«
    »Darauf trinken wir«, rief Vanko hoffnungsvoll.
    »Keiner von uns macht Fortschritte«, sagte Eva. »Das liegt hier in der Natur der Sache. Ich werde nie Menschen heilen, die in radioaktiv verseuchten Häusern leben. Ich werde nie Kinder heilen, die zehn Jahre nach ihrer Verstrahlung Tumore bekommen. Was wir hier durchführen, ist kein medizinisches Programm, sondern ein Experiment.«
    »Was für ein Stimmungstöter«, warf Alex ein. »Dann reden wir doch lieber wieder über den toten Russen.«
    »Natürlich«, sagte Eva und schenkte sich selbst nach.
    »Ich kann ja verstehen«, fuhr Alex fort, »dass einem russischen Wirtschaftsboss die Kehle durchgeschnitten wird, aber ich verstehe nicht, warum er dazu in dieses kleine Dorf kommen muss.«
    »Das habe ich mich auch gefragt«, sagte Arkadi.
    »In Moskau muss es doch eine Menge Leute geben, die ihm gern diesen Gefallen getan hätten.«
    »Davon bin ich überzeugt.«
    »Er wurde von Leibwächtern beschützt, folglich musste er seinen eigenen Leuten entschlüpfen, damit er umgebracht werden konnte. Er muss hier Schutz gesucht haben. Vor wem? Doch der Tod war unausweichlich. Es war wie eine Verabredung in Samarra. Wohin er auch ging, der Tod wartete bereits.«
    »Alex«, sagte Vanko, »Sie sollten Schauspieler werden.«
    »Er ist ein Schauspieler«, erwiderte Eva.
    »Alex«, bemerkte Arkadi, »Sie waren doch Physiker, bevor Sie Ökologe wurden. Warum haben Sie umgesattelt?«
    »Was für eine langweilige Frage. Vanko ist Sänger.« Alex schenkte allen nach. »Hiermit eröffne ich den Unterhaltungsteil des Abends. Wir befinden uns in einem Nachtzug, Samogon ist unser Treibstoff und Vanko unser Lokomotivführer. Vanko, die Bühne gehört Ihnen.«
    Vanko sang ein langes Lied über einen Kosaken, der im Krieg war, seine keusche Frau und den Falken, der Briefe zwischen ihnen hin- und hertrug, bis ihn ein eifersüchtiger Edelmann abschoss. Als Vanko fertig war, applaudierten alle so stürmisch, dass sie ins Schwitzen gerieten.
    »Ich finde die Geschichte absolut glaubhaft«, sagte Alex.
    »Speziell wo es darum geht, wie aus Liebe Misstrauen, aus Misstrauen Eifersucht und aus Eifersucht Hass wird.«
    »Manchmal schlägt Liebe auch gleich in Hass um«, meinte Eva. »Chefinspektor Renko, sind Sie verheiratet?«
    »Nein.«
    »Waren Sie verheiratet?«
    »Ja.«
    »Sind es aber nicht mehr. Man hört immer wieder, wie schwierig es für Untersuchungsbeamte und Kriminalpolizisten ist, eine gute Ehe zu führen. Angeblich werden solche Männer gefühlskalt und wortkarg. War das auch bei Ihnen der Fall?«
    »Nein, meine Frau hatte eine Penizillinallergie. Eine Krankenschwester gab ihr eine falsche Spritze. Sie starb an einem anaphylaktischen Schock.«
    »Eva«, flüsterte Alex, »das war ein schlimmer Fauxpas.«
    »Es tut mir Leid«, sagte sie zu Arkadi.
    »Mir auch«, erwiderte Arkadi.
    Er verließ das Fest für eine Weile. Körperlich blieb er anwesend und lächelte zu passender Zeit, doch mit seinen Gedanken war er woanders. Er hatte Irina bei Außenaufnahmen im Mosfilm-Studio kennen gelernt. Sie war Garderobiere, keine Schauspielerin, doch wenn in ihren großen, tief liegenden Augen die Sonne aufging, verblassten alle anderen neben ihr. Ihre Beziehung war nicht frei von Konflikten, aber auch nicht kalt. In Irinas Nähe konnte er so wenig kalt bleiben wie neben einem Freudenfeuer. Als er sie auf der Rollbahre liegen sah, tot, die Augen leer, dachte er, auch sein Leben sei zu Ende, doch seitdem waren zehn Jahre vergangen, und jetzt war er hier,

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