Treue Genossen
seinem Alter nichts mehr zu verlieren hat. Ich meine, wenn Bobby das Gefühl hat, dass wir beide zusammenarbeiten, wird er sauer sein, aber andererseits wird er nichts anderes erwarten. Wenn Jakow das Gefühl hat, sind wir tot.«
»Genau das ist hier die Frage, nicht? Für wen arbeitest du?«
»Arkadi, du und dein Schwarz-Weiß-Denken. Das moderne Leben ist komplizierter. Staatsanwalt Surin hat mir jeden Kontakt zu dir untersagt. Angeblich, um die Ukrainer nicht zu beleidigen. Jetzt haben die Ukrainer einen Präsidenten, den man auf Tonband aufgenommen hat, wie er die Ermordung eines Journalisten in Auftrag gegeben hat. Trotzdem ist er noch ihr Präsident, deshalb weiß ich nicht, wie man die Ukrainer beleidigen kann. So ist das Leben von heute.«
»Du bist krankgeschrieben?«
»Solange Bobby bereitwillig zahlt. Habe ich dir eigentlich erzählt, dass ich wieder mit Ljuba zusammen bin?«
»Wer ist Ljuba?«
»Meine Frau.«
Arkadi befürchtete, dass er einen Fauxpas begangen hatte. Das Ringen um Viktors Herz war wie der Versuch, ein eingefettetes Schwein zu fangen, und jeder Fehler konnte schwerwiegende Folgen haben. »Hast du denn jemals von ihr gesprochen?«
»Weiß nicht. Jedenfalls habe ich es dir zu verdanken. Ich hatte die Sache mit deinem kleinem Freund Schenja, dem Schweiger, vermasselt, und als ich danach aus der Kneipe kam, traf ich zufällig Ljuba und erzählte ihr alles. Es war wunderschön. Sie entdeckte bei mir eine Sensibilität, von der ich dachte, sie sei mir vor Jahren abhanden gekommen. Wir haben noch mal von vorn angefangen, und ich habe Bilanz gezogen: Entweder ich lebe den alten Stiefel mit dem alten Verein, also hauptsächlich Leuten, die ich in den Knast bringe, oder ich fange mit Ljuba neu an, verdiene anständige Kohle und lege mir ein Zuhause zu.«
»Und dann kam Bobbys E-Mail?«
»Wie bestellt.«
»Laika 1223.«
»Laika war ein großartiger Hund.«
»Eine rührende Geschichte.«
»Siehst du? Das habe ich gemeint. Immer nur Schwarz oder Weiß.«
»Und trocken bist du jetzt auch?«
»Verhältnismäßig. Ab und zu ein Cognac.«
»Und Anton?«
»Damit stürzt du mich in ein moralisches Dilemma.«
»Wieso?«
»Weil du nicht bezahlt hast. Ich darf jetzt nicht mehr nur an mich denken. Ich muss auch an Ljuba denken. Und vergiss nicht, kein Kontakt, hat Surin gesagt. Ganz zu schweigen von Oberst Oschogin. Keiner will, dass ich mit dir rede.«
»Hat Bobby Hoffman dich angerufen, während ich auf dem Weg hierher war? Was hat er gesagt?«
»Dass ich mit dir reden, aber den Mund halten soll.«
»Wie sind die Schuhe?« Arkadi hatte entdeckt, dass Viktor ein neues Paar trug.
»Fangen an zu drücken.«
Arkadi fiel auf, dass Viktor von Zeit zu Zeit zu einem Haus zwei Türen weiter, mit einem italienischen Lederwarengeschäft im Erdgeschoss und Kanzleien und Praxen in den oberen Etagen blickte. Viktor aß einen Eisbecher mit Früchten, Arkadi stocherte in einem Crepe herum. Irgendwie schlug die Zone auf den Appetit. Der Nachmittag wich dem Abend, und der Platz wirkte noch bezaubernder, als Scheinwerfer die Springbrunnen in Lichtgarben verwandelten. Viktor deutete auf ein angestrahltes Gebäude auf dem Hügel über dem Platz.
»Das Opernhaus. Es wurde eine Zeit lang vom KGB genutzt, und wie es heißt, hat man die Schreie bis hierher gehört. Oschogin war eine Weile hier stationiert.«
»Erzähl mir von Anton.«
»Er lässt sich die Zähne richten, mehr kann ich nicht sagen.«
»Den ganzen Tag? Da wären eine Menge Zähne zu richten.«
Arkadi stand auf, ging zu dem italienischen Ledergeschäft, bewunderte die Handtaschen und Jacken und las die Tafeln für die oberen Etagen: zwei Herzspezialisten, ein Rechtsanwalt, ein Juwelier. Das oberste Stockwerk teilten sich ein Global-Travel-Reisebüro und ein Zahnarzt namens R. L. Levinson, und Arkadi erinnerte sich an die Reiseprospekte auf Antons Bett im Butyrka-Gefängnis. Als er zu Viktors Tisch zurückkehrte, fiel ihm ein Mädchen auf. Es war etwa sechs Jahre alt, hatte dunkles Haar und strahlende Augen und tanzte zu der Musik eines wie ein Zigeuner gekleideten Geigers. Das Mädchen gehörte nicht zur Nummer, sondern erfand spontan eigene Schritte und Drehungen.
Arkadi nahm wieder Platz. »Woher weißt du eigentlich, dass er beim Zahnarzt ist und nicht Tickets für eine Weltreise besorgt?«
»Als er hier ankam, hatten alle bis auf die Zahnarztpraxis über Mittag zu. Ich bin Kriminalist.«
»Tatsächlich?«
»Du kannst mich
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