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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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verleiteten sie dazu, ihre Pferde in schnellem Galopp zu reiten. Auch in dieser Gegend waren viele Kalvarienberge errichtet worden, und an vielen wurde noch gebaut. Ob die Pest schon bis hierher gelangt war, fragten sich die Freunde.
    Sie kamen durch kleine Ortschaften, in denen kein Mensch zu sehen war, Fenster und Türen der schilfbedeckten, weißen Katen waren verrammelt; dort ritten sie, ohne anzuhalten, durch. In anderen Weilern und Marktflecken blühte das Leben. Kinder spielten am Dorfweiher, und die Erwachsenen sagten ihnen, dass sie bislang nichts von einer Seuche gehört hätten.
    Die Gefährten wussten nicht, was sie von diesen widersprüchlichen Eindrücken halten sollten, also ritten sie weiter. Und je höher sie nach Norden kamen, desto reiner und klarer wurde die Luft. Es war undenkbar, dachten sie, dass die Krankheit bis hierher gekommen sein sollte.
    Das Erscheinungsbild der Ortschaften war hier ein ganz anderes. Die fensterlosen, würfelförmigen und schilfgedeckten Katen des Südens waren Häusern aus Stein mit geradezu einladend wirkenden Türen gewichen. Hier oben im Norden schien alles freier und offener zu sein, ja, selbst der Himmel wirkte weiter. Es gab frisches, köstliches Wasser aus Steinbrunnen mit nischenartigen Überbauten, die Dreck und Laub von dem wertvollen Nass abhielten. Alte Fischer und Seefahrer saßen vor ihren Häusern, an deren Mauern sich lange Angelruten mit bunten Bändern reihten.
    Am Horizont war das Meer zu sehen. Bei Sonnenuntergang schimmerte es silbern, wie flüssiges Metall, und es wogte leicht, wenn eine sanfte Brise darüber strich. Als die Sonne fast hinter dem Horizont verschwunden und das Meer darunter schuppig und stumpf geworden war, erreichten die Gefährten Saint-Brieuc. Die Sonne versank an der zerklüfteten Küste, dort, wo kleine Inseln lagen, über denen Scharen von Kormoranen und Albatrossen ihre Runden zogen.
    Henri, Joshua, Uthman und Sean ritten in die Stadt hinein. Nachdem sie die Stadtmauer mit dem Burgturm der bretonischen Herzöge passiert hatten, kamen sie durch Gassen, die von mit Mimosen, Hortensien und Lorbeer geschmückten Fachwerkhäusern gesäumt wurden. In der breiten Markthalle inmitten von Saint-Brieuc, deren aufgesetztes Dach über dem Steinfundament zu schweben schien, wurde eine Messe vorbereitet, einige Händler hatten ihren Stand bereits aufgebaut. Zur gleichen Zeit waren Bauleute damit beschäftigt, an der Kathedrale, die einen höheren Turm bekommen sollte, ein Gerüst zu errichten.
    Die Seuche schien Saint-Brieuc nicht erreicht zu haben. Von der Situation in Quimper hatte man dort auch nichts gehört. Dennoch musterte man die Fremden misstrauisch. Und noch bevor sie sich in ein Gasthaus einquartieren konnten, tauchte ein Trupp Soldaten auf, der ihnen befahl weiterzureiten.
    »Diese Stadt ist sauber«, ließ sie der Hauptmann wissen. »Bei uns gibt es weder Juden noch Seuchen. Wir riskieren nichts. Wenn ihr nicht freiwillig geht, stecken wir euch in ein Quarantänehaus vor der Stadt.«
    »Von uns geht ganz sicher keine Gefahr aus«, sagte Henri. »Und wir wollen auch nur eine einzige Nacht bleiben.«
    »Es tut mir Leid, das kann ich nicht erlauben. Ich müsst sofort weiterreiten. Wir eskortieren euch.«
    Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, saßen die Gefährten wieder auf. Obschon sie müde und erschöpft waren, verließen sie im letzten Dämmerlicht die ungastliche Stadt. Sie ritten die halbe Nacht, bis sie in der Frühe an eine Wiese gelangten, auf der sie lagern konnten.
    »Jetzt haben wir so viel Leid und Unrecht gesehen«, sagte Joshua. »Und es will nicht besser werden.«
    »Gerade du hast das Leid und das Unrecht am eigenen Leib erfahren«, sagte Uthman. »Und du hast Recht, die Vorurteile im Land nehmen nicht ab.«
    Sie machten ein kleines Feuer. Es war nicht kalt, aber sie wollten Trockenfisch erhitzen, den sie als Proviant mitgenommen hatten.
    Sean schwieg lange, dann sagte er: »Die Menschen sind schlecht und unbelehrbar. Und auch Gott ist nicht gut. Was machen wir nur auf dieser Welt? Wozu das alles?«
    Die Gefährten blickten sich an. Dann erwiderte Henri: »Doch, mein Sean, Gott ist gut! Daran darfst du nicht zweifeln. Nur sind seine Pläne nicht immer leicht zu verstehen.«
    »Nicht immer?« Seans Stimme hatte einen keifenden Ton bekommen. »Sie sind nie zu verstehen!«
    »Du solltest ruhig und beherrscht bleiben, mein Knappe!« Henri reichte ihm ein Stück Fisch. Doch Sean wollte nichts essen.
    Uthman sagte:

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