Treue in Zeiten Der Pest
Übertragung der Seuche vonstatten ging, konnten sie nicht sicher sein, richtig gehandelt zu haben, als sie das Öffnen der Tore unterstützten.
Dennoch normalisierte sich das Leben in Quimper zunächst wieder. Allein, was mit den wenigen Ratsherren geschehen sollte, die noch in der Stadt verharrten, blieb unklar. Vorerst blieben die Männer hinter den dicken Rathausmauern verschanzt.
»Wir sind keine Ärzte«, sagte Uthman am frühen Morgen des nächsten Tages, als die Gefährten sich von dem Kampf mit den Stadtsoldaten einigermaßen erholt hatten, »aber ich fühle mich verpflichtet, noch einen kleinen Beitrag zur Bekämpfung der Seuche zu leisten, bevor wir aus Quimper verschwinden.«
»Was willst du tun?«, fragte Sean, der jetzt so schnell wie möglich weiterreiten wollte.
»Ich werde noch einmal ausziehen, um so viele Kräuter wie möglich zu sammeln. Diese möchte ich den Einwohnern von Quimper schenken. Denn ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sie reagieren werden, wenn es tatsächlich so kommt, wie die Medici es befürchten, und die Seuche nach der Öffnung der Stadttore noch stärker wütet.«
»Ich schließe mich dir an«, sagte Joshua. » Wenn die Sonne aufgeht, reiten wir los. Spätestens am Abend sind wir wieder zurück. Medicus Monacis, der uns in den letzten Tagen so hervorragend unterstützt hat, wird uns sicher erlauben, die Heilmittel in seinem Haus zuzubereiten.«
»Das wird er sicher«, sagte Henri. »Und ich denke, wir können es auch gefahrlos wagen, noch einen Tag lang hier zu bleiben. Die Seuche hat uns bisher nicht gepackt, da wird sie uns wohl auch noch eine weitere Nacht verschonen.«
»Gut«, sagte Sean, »dann werde ich doch noch einmal zu Angéliques Grab gehen, wie ich es von Anfang an geplant habe. Falls ihr mich braucht, helfe ich euch anschließend bei der Zubereitung der Tinkturen.«
Uthman und Joshua brachen sofort auf. Sie genossen den Ausritt in die nahe gelegenen Wälder, selbst ihren Pferden war anzumerken, wie sehr ihnen die wiedererlangte Freiheit gefiel. Sie flogen geradezu dahin.
Unterwegs bemerkten sie, wie viele neue Kalvarienberge seit ihrem letzten Ausritt rund um Quimper errichtet worden waren. In den Tagen der Pest waren wunderbare Werke entstanden, weit prächtiger als alles, was vorher geschaffen worden war.
Bald hatten die beiden Freunde den Wald erreicht, den sie für ihre Kräutersuche auserkoren hatten. Auf dem Weg dorthin waren ihnen noch zahlreiche Reiter und Händler mit Karren entgegengekommen, die frohen Mutes nach Quimper zogen. Sie hatten sich an die Warnungen der Ärzte erinnert und fragten sich nun selbst, ob das Öffnen der Stadttore wirklich eine uneingeschränkt gute Sache gewesen war. Doch die Freude an der eigenen Freiheit ließ sie diese Sorgen schon bald wieder vergessen. Uthman und Joshua genossen den Duft des Waldbodens, der Gräser, Kräuter und Blumen ringsum und labten sich am Anblick der Birkenhaine, die im steten, vom Meer herwehenden Wind sanft wogten. Allerlei kleines Getier huschte durch das Buschwerk, und in der Ferne erhob sich eine Kolonie von Kranichen, die ihren typischen Warnschrei erklingen ließen.
»Die Natur ist eine wahre Trösterin«, schwärmte Joshua. »Ohne Bäume und Blumen stirbt der Mensch. Die Stadt begünstigt die Krankheiten, glaubst du nicht auch?«
»Das tun nur Städte, in denen die Verantwortlichen an nichts anderes denken als daran, wie sie gute Geschäfte machen können«, erwiderte Uthman. »Erinnere dich an die Städte im Heiligen Land. Du kennst Jerusalem genauso gut wie ich, du kennst Damaskus, Jericho, Medina und Basra. Was für wunderbare Städte! Dort ruft alles nach dem Herrn. Und die Menschen dort sind glücklich.«
»Du hast Recht«, erwiderte Joshua. »Auch in Spanien gibt es zahlreiche Städte mit glücklichen Menschen, ich denke da an Cordoba, Granada oder Sevilla. Aber schon in Toledo fangen die Probleme an. Obwohl es dort viele wunderbare Gärten gibt, scheint die gesamte Stadt von Ehrgeiz und Gewinnsucht getrieben zu sein. Und über Nacht kann dort Hass auf irgendjemanden wie eine Seuche ausbrechen. Ich sehe manchmal keinen Unterschied zwischen einer solchen Seuche, die den Körper befällt, und den Vorurteilen der Menschen, die in den Gemütern steckt.«
»Die Juden haben diese Vorurteile immer hautnah zu spüren bekommen«, sagte Uthman nickend. »Eine Seuche trifft immerhin noch einige wirklich verachtenswerte Menschen, aber die Opfer von Aberglauben und Vorurteilen sind
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