Treue in Zeiten Der Pest
»Allah ist immer gegenwärtig. Nimm meinen Glauben an, Sean, dann werden dir die Absichten des Weltenschöpfers klarer.«
»Auch Adonais Plan ist nicht immer einsichtig«, fügte Joshua hinzu. »Aber es ist nicht an uns, die Absichten des Herrn zu verstehen, es ist allein an uns, ihm zu vertrauen und an ihn zu glauben.«
Sean schwieg missmutig zu dem Gesagten, und das Thema wurde beendet.
Die Gefährten ruhten nur kurz und ritten schon bei Sonnenaufgang weiter. Über samtig-weiße Sandstrände folgten sie der Bucht von Saint-Brieuc, die nach Osten und dann wieder nach Norden führte. Immer wieder waren weit draußen im Meer Felsen zu sehen, auf denen riesige Vogelschwärme nisteten. Während einiger kurzer Augenblicke, wenn besonders viele Vögel auf einmal in die Luft stiegen, schien es, als ob sich die Felsen selbst mit schwerem Flügelschlag aus dem Meer erhoben. Es war ein beeindruckender Anblick, den die Freunde jedoch bald wieder hinter sich ließen, als sie ihre Pferde landeinwärts lenkten.
Sie verfolgten keinen genauen Plan, sie wollten lediglich der Seuche den Rücken kehren. Doch plötzlich kamen sie in ein Gebiet, in dem sie die Pest wieder einzuholen schien.
Es war kurz hinter Lamballe. Die Freunde passierten eine Bauernkapelle in einer Heidekrautebene, die mit wunderbaren Malereien in leuchtenden Farben gesegnet war. Henri wollte sich diese Werke näher anschauen. Die Gefährten saßen auf seinen Wunsch ab und staunten ob der Einfachheit der Darstellungen, die sie rührte. Plötzlich erblickten sie allerdings auch einen Mann, der in einer Nische seitlich des schlichten Altares lag.
Von einer dunklen Vorahnung getrieben, ging Henri zu dem Liegenden hinüber und drehte ihn um. Er war tot. An Hals und Gesicht schimmerten braune Beulen, auf denen Fliegen saßen.
Henri richtete sich langsam wieder auf. »Wir reiten weiter«, sagte er bestimmt. Schnell verließen die Freunde die Kapelle. Während sie aufsaßen, blickte Joshua Henri wortlos an. Dieser nickte nur. »Die Leiden sind noch nicht vorüber«, sagte er.
»Wir sollten unsere Waffen sichtbar tragen«, riet Uthman. »Denn wir wissen nicht, wie sich die Menschen hier, außerhalb der großen Städte, angesichts der Pest verhalten. Vielleicht sind sie schon so entmutigt und bar aller Hemmungen, wie es die Einwohner von Quimper erst nach Wochen waren. Am besten ist es, gleich einen Eindruck von Wehrhaftigkeit zu vermitteln, so halten wir uns Ärger vom Hals.«
»Es ist bestimmt besser«, stimmte Joshua zu. »Allerdings werden wir mit diesem Auftreten spätestens dann Probleme bekommen, wenn wir eine Unterkunft suchen. Aber das werden wir wohl in Kauf nehmen müssen.«
»Wichtig ist von nun an, dass wir unser Wasser abkochen, bevor wir es trinken«, riet Henri. »Und wir sollten kein Fleisch mehr essen.«
Sie hatten Lamballe passiert und ritten durch eine Hügellandschaft nach Osten. Hier gab es keine Kalvarienberge und auch kaum Ortschaften. Die wenigen, denen sie begegneten, waren so klein, dass sie nicht einmal einen Namen besaßen.
»Weiter, weiter!«, trieb Sean an. »Nur fort aus den Fängen dieser entsetzlichen Seuche.«
»Wir lassen uns also auf nichts mehr ein?«, fragte Uthman. »Keine Hilfeleistung, wenn wir Erkrankten begegnen?«
»Hast du nicht selbst einen deiner arabischen Ärzte zitiert, der sagte, das einzige Mittel gegen die Pest sei die schnelle Flucht?«
Uthman sah Sean milde an. »Ja, aber beruhige dich, Sean. Wir sind bisher nicht erkrankt, daher werden wir uns auch jetzt kaum anstecken.«
»Wie kannst du das so sicher wissen?«, fragte Sean mit erstickter Stimme.
»Ich meine, wir sollten ab jetzt Aufzeichnungen machen«, schlug Joshua vor. »Alle Erfahrungen, die wir gemacht haben und nun machen werden, könnten anderen Menschen helfen, mit der Pest umzugehen.«
»Das ist eine gute Idee, Joshua!«, sagte Henri. »Mache du es am besten. Anders als wir kannst du ja auch während des Reitens lesen und schreiben.«
Joshua war einverstanden, rückte sich die Brille gerade, kramte eine Rohrfeder und Pergamente aus seinem Sack hervor und begann zu schreiben.
In der nächsten Zeit begegneten den Gefährten nur wenige Menschen, die allerdings gesund aussahen. Schafherden säumten die grünen Wiesen, die von Felsen durchzogen waren. Und kurz vor dem Dorf Chau sahen sie sogar drei Lastkamele, die gemächlich mit ihren Führern dahinzogen.
Am Abend kamen die Freunde zu einem Landsitz, der inmitten wogender Kornfelder lag. Das
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