Treue in Zeiten Der Pest
Haus machte einen verlassenen Eindruck, und da die Freunde hier niemanden zu stören glaubten, stiegen sie ab, um in der Nähe zu kampieren und nach Wasser zu suchen. Dabei stießen sie auf eine kleine Kapelle, um die ein Bienenschwarm summte. Plötzlich bemerkten sie eine schemenhafte Gestalt an einem der Fenster.
»Hallo?«, rief Henri laut. »Ist hier jemand?«
»Verschwindet!«, schrie jemand aus dem Inneren.
»Wir brauchen nur frisches Wasser!«
»Ihr kommt aus dem Westen und bringt die Krankheit mit euch! Reitet weiter nach Dinan, dort seid ihr richtig!« Die seltsam krächzende Stimme verfiel in ein hämisches Lachen.
»Ein Verrückter!«, befand Joshua. »Reiten wir weiter.«
»Nein, warte!«, meinte Henri. Er stieg ab, zog sein Kurzschwert und näherte sich der Eingangstür.
»Keinen Schritt weiter, oder ich hetze meine Hunde auf euch!«, drohte der Unbekannte in der Kapelle.
»Was ist mit Euch los?«, fragte Henri laut. »Ist die Seuche schon hier in der Gegend angekommen?«
Nach einem kurzen Schweigen entgegnete der Unbekannte: »Sie ist in Dinan. Aber jeder, der hierher kommt, kann sie mit sich bringen. Also verschwindet.«
»Die Pest wütet in Dinan? Seid Ihr sicher?«
»Ob ich sicher bin? Macht ihr Witze, Mann? Aufrührer haben zwei Pestleichen über die Mauern in die Stadt geworfen, seitdem wütet die Seuche dort fürchterlich.«
»Welche Art Aufrührer macht denn so was?«
»Juden, die die Verfolgung in Dinan im letzten Winter überlebt haben.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Joshua in Henris Rücken.
»Dann glaubt es eben nicht! Vielleicht lebt überhaupt niemand mehr in Dinan! Auch meine Familie nicht, die…« Die Stimme ging in ein Schluchzen über.
»Es tut mir Leid!«, sagte Henri. Dann wandte er sich um und bestieg sein Pferd. Die Gefährten folgten ihm.
Nachdem sie eine Weile schweigend durch eine Landschaft geritten waren, die im schönsten Sonnenlicht in den herrlichsten Farben schimmerte, ohne dass sie darauf achteten, verhielt Henri sein Pferd. Er stieg jedoch nicht ab, sondern blieb einfach sitzen. Die Gefährten taten es ihm gleich.
»Vielleicht ist Gott wirklich nicht gut«, sagte Henri leise. »Warum verschont er uns nicht mit seinem Auswurf?«
Henri hörte, wie Sean aufschluchzte.
Als die Stadtmauern von Dinan in Sicht kamen, überlegten die Gefährten, was sie tun sollten. Über den Häusern und Türmen der Stadt an den Ausläufern einer tief reichenden Meeresbucht stand Rauch. Die Tore schienen geöffnet zu sein, denn sie sahen Menschen. Und als sie genauer hinblickten, erkannten sie, dass dort Scheiterhaufen brannten.
»Ein Pogrom!«, flüsterte Joshua.
»Nein«, sagte Henri mit fester Stimme. »Sie verbrennen ihre Leichen.«
»Die Pest wütet also tatsächlich in Dinan!«, sagte Uthman. »Was machen wir jetzt?«
»Wir können nicht helfen«, antwortete Henri. »Wir reiten weiter. So lange, bis uns die Seuche nicht mehr erreicht.«
»Ich könnte ihnen zumindest den Rest unserer gesammelten Kräuter zur Verfügung stellen«, meinte Uthman.
»Nein!«, schrie Sean hysterisch auf. »Wir müssen so schnell wie möglich weiterreiten, bitte!«
»Wenn du die Kräuter in die Stadt bringen magst, Uthman, dann tue es. Wir warten solange hier«, sagte Henri.
Uthman nickte Henri zu und gab seinem Pferd die Hacken. Die Freunde blieben auf der kleinen Anhöhe stehen und sahen, wie seine Silhouette kleiner wurde und er in die Stadt einritt.
Wenig später tauchte er unter dem Tor wieder auf, und sechs Reiter jagten hinter ihm her. Uthmans Pferd flog dahin. Die Verfolger gaben die Jagd jedoch erst auf, als sie sahen, dass Henri und seine Gefährten auf Uthman warteten.
»Sie sind verrückt!«, schrie Uthman ihnen schon von weitem zu. »Sie haben überall Scheiterhaufen aufgeschichtet und wollen alles niederbrennen. Sie glauben, die Pest sei mit Rauch zu vertreiben.«
»Lassen wir ihnen ihren Glauben«, sagte Henri. Er wendete sein Pferd, und die anderen folgten ihm.
»In der Stadt lagen überall Leichen herum«, berichtete Uthman unterwegs. »Niemand kümmerte sich um sie. Sie lagen verkrampft und starr in den Gassen, die meisten mit aufgerissenem Mund und heraushängender Zunge. Ihre Beulen waren so groß wie Pflaumen. Als ich an einem Pesthaus anhielt und meine Kräuter anbot, kamen sofort die Bewaffneten heraus und jagten mich davon.«
Nach diesem Vorfall waren die Freunde drei weitere Tage und Nächte unterwegs. Sie schliefen nur kurz, immer im Schutz
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