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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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der Nachtwächter entgegen, der bereits Mitternacht verkündete. Henri und Sean warteten in einem Hauseingang, bis der klapperdünne Geselle mit seinem tief ins Gesicht gezogenen Hut und der lodernden Fackel in der rechten Hand an ihnen vorbeigegangen war. Dann setzten sie ihren Weg fort. Er führte sie an Gärten vorbei, die wunderbare Düfte verströmten. Als der Wind zunahm, vermischten sie sich mit dem Geruch von Meer und Salzwasser. Sie kamen dem Hafen immer näher. Bevor sie ihn erreichten, mussten sie allerdings noch die Plätze der Gerber passieren. Seitdem die Seuche ausgebrochen war, war es hier allerdings auch tagsüber vergleichsweise ruhig.
    Plötzlich blieb Sean abrupt stehen. Er hatte einen Mann erblickt, der sich äußerst verdächtig verhielt. Er durchquerte die Gasse mit ausladenden Schritten von einer Seite zur anderen, ganz so, als wolle er den nächtlichen Spaziergängern den Weg abschneiden. Erschrocken pressten sich Henri und Sean an die nächstgelegene Hauswand. Als der Mann mit ihnen auf gleicher Höhe war, taumelte er allerdings vorbei, ohne sie auch nur wahrzunehmen. Irgendwo weiter hinten brach er zusammen und blieb reglos mitten auf dem Pflaster liegen.
    Sean kehrte um und betrachtete den Mann näher.
    »Komm weiter«, drängte Henri, »wir haben etwas anderes vor.«
    »Ich komme sofort. Aber, Herr Henri, er sieht furchtbar aus.«
    Widerwillig machte auch Henri noch einmal kehrt. Das Gesicht des Unbekannten schimmerte grünlich, seine Lippen waren wächsern. Der Mann lebte noch und stieß aus seinem dunklen, von schwellenden Blasen verklebten Mund atemlos hervor: »Die Ratten! Sie kommen! Sie holen uns alle!«
    »Komm weiter!«, drängte Henri seinen Knappen erneut. Er wollte den zu erwartenden Todeskampf des Darniederliegenden nicht abwarten. Er war sich nicht sicher, ob er dem, was ihm Magister Priziac am diesem Morgen anvertraut hatte, Glauben schenken konnte, nämlich dass die Seuche nur die Schwächsten holte und dass sie die Stärksten aus Respekt verschone.
    Als Sean noch immer zögerte, packte er ihn grob am Arm, zog ihn empor und sagte: »Der Hafen!«
    Die Schiffe lagen dicht an dicht an der Mole. Der Wind trieb ihre Außenwände geräuschvoll gegeneinander. Die Wanten seufzten, und immer wieder schlugen leichte Wellen mit einem schmatzenden Laut gegen die Rümpfe.
    Nur vereinzelte Barken wurden bewacht. Die meisten Schiffe waren längst entladen. Sie benötigten keine Beaufsichtigung mehr. Sie warteten lediglich darauf, neue Ladung aufzunehmen. Doch es kam keine.
    Niemand bestellte in diesen Tagen etwas aus Quimper. Selbst der Fangfisch verfaulte in den tief gegrabenen Kühlkellern, oder er wurde ins Meer zurückgekippt, wenn sich zeigte, dass es keine Abnehmer dafür gab.
    »Wie wollen wir es angehen?« Seans Stimme bebte.
    »Wie wir es besprochen haben. Wir beginnen bei dem Kahn dort drüben.« Henri deutete ans äußerste linke Ende der Mole. »Er heißt Feuerwoge, wenn ich das richtig sehe. Ein trefflicher Name für diese Nacht. Folge mir, aber leise!«
    Sean tat wie ihm geheißen. Über die Seile, die das Schiff mit der Mole vertäuten, gelangten sie auf die Feuerwoge. Als sie an Deck standen, hielten sie inne und lauschten, doch bis auf das kurze Kreischen eines Nachtvogels blieb alles ruhig.
    Henri holte etwas unter seinem Umhang hervor und kramte in seiner Umhangtasche. Als er gefunden hatte, was er suchte, begann er, an etwas zu reiben. Plötzlich flammte ein kleiner Funke auf, der rasch eine dunkle Substanz entzündete, die wiederum eine Garbe trockenen Strohs auflodern ließ.
    Diese warf Henri nun durch die offene Luke ins Unterdeck. Noch bevor die Flammen emporzüngelten oder verräterischer Rauch aufstieg, waren Henri und Sean auf das nächste Schiff gesprungen. Hier entfachte Sean das Feuer. Binnen kurzer Zeit schlugen die Flammen, vom Wind angestachelt, von allein auf die noch nicht brennenden Schiffe über.
    Mit einem Mal schwärmten Hunderte von Ratten aus den Unterdecks. Vollkommen panisch huschten die Nager an Deck und rannten zwischen dicken Rauchwolken eine Zeit lang desorientiert im Kreis herum. Bald jedoch hatten sie einen Fluchtweg entdeckt und sprangen laut quiekend von Deck. Sie landeten im Wasser und versuchten, ans Ufer zu kommen. Einigen gelang das auch. Die Mehrheit aber prallte von der Hafenbefestigung ab und fiel ständig ins Wasser zurück, viele von ihnen ertranken, jedoch nicht alle. Diejenigen, die sich ans Ufer retten konnten, verschwanden im

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