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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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zurück, hielt den Atem an und wartete. Wieder kamen sie und stellten ihm einen Teller Suppe hin.
    »Iss, du Hund!«
    Mit einem Mal verspürte Joshua einen unbändigen Heißhunger. Aber er musste vorsichtig sein. Sein Körper war ausgezehrt. Zudem konnte die Suppe vergiftet sein. Denn warum sollte man ihn am Leben erhalten? Wozu brauchte man ihn?
    Langsam löffelte er die Suppe in sich hinein. Er beließ sie eine Zeit lang im Mund, spülte sie mit der Zunge hin und her und erkundete ihren Geschmack, dann erst schluckte er zaghaft. Ich muss unbedingt zu Verstand kommen, dachte er unterdessen, das ist das Wichtigste. Wenn sie tatsächlich vorhaben, mich woanders hinzubringen, dann muss ich versuchen, herauszufinden, wo es hingeht.
    Am Abend holten sie ihn. Wie immer warfen sie ihm ein Tuch über den Kopf und fesselten seine Hände mit Ketten auf den Rücken, dann stießen sie ihn vorwärts. Joshua stolperte ungeschickt durch die Gänge. Schon nach ein paar Schritten war er schweißüberströmt. Wenn sie ihn nicht halb getragen hätten, wäre er hingefallen und nie wieder aufgestanden.
    Plötzlich roch er die Abendluft. Ihr Duft traf ihn wie ein Schlag. Wie ein Verdurstender das in letzter Minute gereichte Wasser sog er die würzige, warme Luft in seine Nase. Tränen strömten über sein Gesicht und benetzten das Sackleinen über seinem Kopf. Er hob den Kopf, als könnte er den Himmel sehen, dann gab er einen erstickten Laut von sich.
    Er hörte Stimmen in der Nähe. Sie klangen unwillig, fast drohend. Es erhob sich ein Wortgefecht, doch er konnte nicht verstehen, worum es ging. Klirrten da nicht auch Waffen?
    Nein, es waren wohl nur die Ketten an seinen Handgelenken. Jemand stieß ihm grob in den Rücken. »Troll dich!«, knurrte ihm dieser Mensch ins Ohr.
    Joshua fiel gegen einen Karren, nahm den Geruch eines Tieres wahr und hörte sein Schnauben, vermutlich war es ein Ochse. Dann stieß man ihn in das Fuhrwerk hinein. Offenbar hatten seine Wächter es eilig. Eine Peitsche knallte, und die schweren Holzräder rumpelten auf dem holprigen Pflaster. Nach einer Weile wurde der Untergrund weicher. Sie brachten ihn aus der Stadt hinaus.
     
     
    »Es tut mir Leid. Ich kann nichts für Euch tun. Der Jude ist nicht mehr da. Ihr könnt Euch selbst davon überzeugen. Geht ins Gefängnis und schaut nach. Er ist verlegt worden. Die Inquisition kümmert sich nun um ihn. Es steht nicht mehr in meiner Macht, ihn freizulassen!«
    Henri starrte den Bürgermeister fassungslos an. Dieser Mann trieb ein allzu böses Spiel mit ihm! Er glaubte ihm, dass Joshua sich nicht mehr im Rathausgefängnis befand. Maire Michel hatte nicht den Mumm, ihn zu belügen, wenn er dabei so leicht ertappt werden konnte. Von selbst war das Inquisitionsgericht allerdings sicher auch nicht darauf gekommen, Joshuas vermeintlichen Fall zu übernehmen. Vielmehr würde der Bürgermeister aus Feigheit seine Verantwortung an andere übertragen haben. Und aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er daran auch ein ganz hübsches Sümmchen verdient.
    »Und was ist mit unserem Geschäft?«, fragte Henri, mühsam beherrscht.
    »Damit werdet Ihr Euch jetzt wohl an den Inquisitor wenden müssen«, sagte der Bürgermeister. »Aber ich glaube, ehrlich gesagt, nicht daran, dass er auf Euren Vorschlag eingehen wird. Der Jude hat immerhin die Brunnen vergiftet und die Pest in die Stadt eingelassen. Er muss sterben.«
    »Ihr wisst, dass das nicht stimmt!«
    »Ach, reißt Euch zusammen, Roslin! Wen kümmert in diesen Tagen das Schicksal eines einzelnen Juden? Jeden Tag sterben hier jetzt zahlreiche gute Christenmenschen. Immer mehr! Selbst die Gesundheitskommission, die ich einberufen habe, wird daran nichts ändern können. Vergesst Euren Juden! Er ist praktisch schon tot!«
    »Das verhüte Gott«, sagte Henri. »Und vor allem Ihr solltet Euch das nicht wünschen. Denn wenn es wahr ist, ziehe ich Euch das Fell über die Ohren!«
    »Aber ich sagte Euch doch, dass die Kirche jetzt über ihn verfügt. Als weltlicher Würdenträger habe ich überhaupt keine Macht mehr.«
    »Ach nein?« Henri war sich nicht sicher, ob der Mann die Wahrheit sagte, aber er wollte ihn aus der Reserve locken.
    »Nein!«, entgegnete Maire Michel zornig. Und in einem etwas jovialeren Tonfall fuhr er fort: »Mir sind in diesem Fall leider die Hände gebunden. Der Inquisitor hat mir ein Gutachten vorgelegt, in dem der Jude der Häresie beschuldigt wird. Damit untersteht er der alleinigen Gerichtsbarkeit der

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