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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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durchaus helfen«, sagte Henri.
    »Schädlich soll es sein, am Tag zu schlafen. Der Schlaf darf nur bis Tagesanbruch dauern.«
    Gerade als er zu Ende gesprochen hatte, packte Henri Sean am Arm und zog ihn in einen Hauseingang. Vier Büttel in Stadtuniform ritten an ihnen vorbei. Die Gefährten hielten sich eine Zeit lang ruhig, als jedoch nichts mehr zu hören war, gingen sie weiter.
    Es war Henri, der das Gespräch wieder aufnahm. »Einige Menschen behaupten auch, zarte und zu einem Übermaß an Feuchtigkeit neigende Organismen seien der Gefahr einer Infektion stärker ausgesetzt, Neugeborene, Kinder, Frauen und Junge.«
    »Oder Menschen, die zu unmoralisch leben.«
    »Man hört so viel in diesen Tagen«, erwiderte Henri kopfschüttelnd. »Das wirklich Schlimme an einer Seuche ist, so denke ich, dass man sich nicht auf sie einstellen kann. In dem Moment, in dem man sie bemerkt, ist es schon zu spät.«
    Mittlerweile hatten die beiden Männer die Innenstadt wieder erreicht. Sämtliche Kirchtürme waren mit schwarzen Fahnen beflaggt. Wie um diesem Zeichen der Trauer Hohn zu sprechen, wurde am Rathaus allerdings gerade ein Anschlag angebracht, auf dem die Ansteckungskraft der Seuche geleugnet und jedem Einwohner bei Androhung von Strafe verboten wurde, aus der Stadt zu fliehen.
     
     
    Von alldem, was draußen geschah, sah und hörte Joshua nichts. Er lag in einer Zelle, die weder Geräusche noch Licht einließ. Der einzige Vorteil dieses Lochs war, dass es hier keine Ratten gab.
    Joshua dämmerte dahin. Wie viel Tage und Nächte waren mittlerweile vergangen? Er wusste es nicht. Er kannte keine Tageszeiten mehr, für ihn gab es nur noch die Dunkelheit. Sie hüllte ihn ein, und manchmal fühlte er sich darin sogar geborgen wie in einer dichten weißen Wolke, die ihn forttrug von dem Elend, das ihn umgab. Nur noch in wenigen lichten Momenten trat ihm die schreckliche Gegenwart wieder vor Augen.
    Die Gedanken an seine Freunde hatte er eingestellt. Sie schwächten ihn nur unnötig und verstärkten seine Trauer. In den grauen Nebel seiner Erschöpfung, ja sogar ins Innere seines pulsierenden Herzens drang nur ein einziger Gedanke: Wenn nur die Ratten nicht mehr kommen!
    Es war kalt in der Zelle, vielleicht lag sie tief unter der Erde. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Zwei Kerkerknechte kamen herein.
    »Maire Michel will nicht, dass du stirbst. Warum, weiß der Teufel«, knurrte einer von ihnen.
    Joshua reagierte nicht. Die beiden Männer rissen ihn empor, packten seinen Kopf, öffneten gewaltsam seinen Mund und flößten ihm mit einem Holzlöffel warme Suppe ein.
    »Sauf, du Hund! Warum man so viel Wirbel um dich macht, weiß ich wirklich nicht. Meinetwegen könntest du hier verrecken.«
    »Er wird sogar noch mal verlegt«, krächzte der zweite Knecht. »An ihm soll ein… ein… so ein Dings statuiert werden.«
    »Ein Exempel, Blödmann.«
    »Na, sag ich doch.«
    Nachdem die Männer ihre Arbeit getan hatten, verließen sie rasch die Zelle und schlugen die Tür hinter sich zu. Joshua lag noch genau so da, wie die Knechte ihn vorgefunden hatten. Die Stille war zurückgekehrt.
    Der Nebel in Joshuas Kopf lichtete sich. In seiner Mitte bildete sich allmählich ein heller Schein mit feuerroten Rändern, der größer und größer wurde. Schließlich wurde Joshua bewusst, dass die Wächter eine brennende Wachskerze stehen gelassen hatten. Er blinzelte in das ruhig vor sich hin flackernde Licht. Es war wie ein Wunder, obschon es schmerzte und Joshua sich wieder daran erinnerte, was mit ihm geschehen war.
    Ganz plötzlich erblickte er seine Frau vor sich. Sie war so wirklich, dass er glaubte, ihren Duft in diesem stinkenden Loch einzuatmen. Unwillkürlich hob er seinen Blick und starrte in die Zellenecke, in der sie ihm erschienen war. Doch jetzt erblickte er dort nur die nackte Wand. Dennoch blieb ihm Rachel ganz nahe, er hörte sogar den Klang ihrer Stimme, nur verstand er nicht, was sie sagte. Rachel, dachte er, warum bist du nicht mehr bei mir? Komm zu mir, Liebste. Ich weiß, dass du tot bist. Aber bitte steh mir bei.
    Er spürte, wie ihm heiße Tränen über die Wangen rollten. Jetzt haben sie mich da, wo sie mich haben wollen, dachte er. Jetzt hänge ich wieder am Leben, leide und hoffe. Darauf, dass irgendjemand an mich denkt und mich vermisst, darauf, dass die Freunde kommen und mich befreien.
    Nach einer Weile tat sich wieder etwas vor seiner Kerkertür. Ein Rumpeln war zu hören. Joshua sank auf den Strohsack

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