Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
Vom Netzwerk:
Kirche. Wenn er Glück hat, wird man ihn vor ein Tribunal stellen, wenn nicht, dann foltert man ihn. Anschließend wird er auf jeden Fall verschwunden sein, versteht Ihr? Jetzt, wo hier überall die Pest grassiert, hat er mit diesem Schicksal sogar noch Glück, würde ich sagen.«
    »In welches Gefängnis hat man meinen Gehilfen gebracht?«
    »In ein sicheres, das könnt Ihr mir glauben. Die geistlichen Herren gehen kein Risiko ein. Und der Jude ist wahrhaftig nicht der erste Gefangene, den sie verhören.«
    »Ich kenne die Methoden dieser Folterknechte nur zu gut!«, stieß Henri hervor. »Die Inquisitoren sind selbst Häretiker. Ich verstehe nur nicht, warum Ihr gemeinsame Sache mit ihnen macht? Was versprecht Ihr Euch davon? Einen gesicherten Platz im Himmel?«
    »Roslin, ich bitte Euch, seid nicht so naiv! Wir brauchen das Geld! Die Inquisitoren konfiszieren das Vermögen, und davon bekommen wir die Hälfte! So einfach ist das!«
    »Ihr verdient an jedem Angeklagten?«
    Maire Michel blickte gelangweilt auf einige Dokumente, die auf seinem Schreibtisch lagen. »An jedem einzelnen.«
    »Und was verdient Ihr an Joshua ben Simon, der hat doch überhaupt kein Vermögen, dass Ihr beschlagnahmen könnt?«
    »Er nicht, aber Ihr. Ihr seid doch sein Arbeitgeber, wenn ich das richtig verstanden habe. Irgendwas wird der Jude bei Euch doch verdient haben, das werdet Ihr beizeiten rausrücken müssen. Und erzählt mir nicht, Ihr hättet kein Geld – das weiß ich besser. Die Kosten des Verfahrens, das die Kirche gegen Euren Gehilfen anstrengt, werdet Ihr wohl auch bezahlen müssen. Im Fall einer Verurteilung werden diese nämlich auch vom Vermögen des Angeklagten abgezogen.«
    »Dann ist ja bereits abzusehen, was mit Joshua geschehen wird!«, stöhnte Henri. »Das war auch der Grund, warum die Templer keine Chance hatten, Folter und Tod zu entkommen.«
    »Die Templer? Wie kommt Ihr darauf, Roslin? Die Templer? Das ist lange her!«
    »In meinem Herzen ist es, als sei es erst gestern gewesen!« Henri wusste, dass er sich mit dieser Aussage verraten konnte, doch das war ihm mittlerweile gleich. Und der Bürgermeister schien auch gar nicht gehört zu haben, was er gesagt hatte, denn ungerührt fuhr er fort:
    »Ihr dürft die Sache nicht so schwarz sehen. Denn wenn Euer Jude alles zugibt, wessen man ihn anklagt, kann es durchaus sein, dass er zwar schuldig gesprochen, anschließend aber nur gefoltert und dann freigelassen wird. Es liegt also allein an ihm.«
    »Ich will bei seinem Tribunal anwesend sein!«
    »Ja, das wollen viele. Es ist ein interessantes Schauspiel. Die Angeklagten sind oft so fertig, dass sie weinen, zusammenbrechen, spucken, unter sich lassen. Ein Bild des Elends, an dem man sich durchaus berauschen kann, denn umso strahlender erscheinen dahinter das Bild der Wahrheit und die Anwesenheit des Herrn, der alle Sünden sieht und bestraft.«
    »Ihr seid ein ekelhafter Mensch, Maire Michel!«
    »Wie Ihr meint. Ich halte mich allerdings eher für einen Realisten. Ich muss den Tatsachen ins Auge sehen!«
    »Wie kann es sein, dass Ihr es bis in ein so verantwortungsvolles Amt gebracht habt? Müsst Ihr nicht für die Menschen sorgen, die in dieser Stadt wohnen?«
    »Aber das tue ich doch! Mit dem Geld der Verurteilten finanziere ich alle Segnungen dieser Stadt! Jede Fackel an einer Häuserwand, die unsere Nacht erhellt, wird beispielsweise davon bezahlt!«
    »Und die Leute von Quimper lassen sich davon blenden? Sie müssen blind sein und taub dazu!«
    »Tja, das sind sie auch, mein Guter! Das sind sie.«
    Henri lag noch einiges auf der Zunge, das er dem Bürgermeister gerne an den Kopf geworfen hätte. Aber er schwieg. Dieser Mann war es nicht wert, dass man Worte an ihn verschwendete. Und die Sorge um Joshua stand jetzt für ihn an erster Stelle.
    Dennoch hätte er den Bürgermeister erwürgen können. Und vielleicht hätte er es sogar getan, wenn er ihn dafür nicht hätte anfassen müssen.
    So machte er lediglich kehrt und ging ohne jeden Gruß hinaus.

 
    9
     
     
     
    Mai 1318. Pogrom
     
    »In diesen Tagen sind wir alle Juden«, sagte Henri zu Uthman, nachdem er ihm von seinem Gespräch mit dem Bürgermeister berichtet hatte. »Wir haben zu lange geschwiegen. Wir haben nicht dagegen protestiert, dass man die Juden seit hundert Jahren als Außenstehende brandmarkt. Dass sie spitze Hüte tragen müssen und den gelben Fleck, der anzeigen soll, dass sie ständig nur ans Geld denken, wo wir ihnen doch selbst verboten

Weitere Kostenlose Bücher