Treuepunkte
würde ein Fußballer nicht unten in der Kreisliga anfangen, sondern direkt in der Ersten Bundesliga. Das kann für die Kinder nicht gut sein«, antwortete Christoph. Wir waren uns einig. Gut so. 3000 Euro gespart. Fantastisch.
Somit bleiben von den fünf Schulen nur noch vier. Das Mädchengymnasium, das Gemischte, das Humanistische und die Gesamtschule. Christoph ist gegen die Gesamtschule. Mag er nicht. »Wenn sie das Zeug fürs Gymnasium
hat, warum soll sie dann auf die Gesamtschule, zusammen mit anderen, die nicht das Zeug fürs Gymnasium haben?«, begründet er seine Ablehnung. Argumentativ nicht sehr stark, aber emotional deutlich. Ich bin gegen das Humanistische Gymnasium. Aus ähnlich diffusen Gründen. Ich mag kein Latein. Habe mich schlimm damit rumgequält. Auch dem Altgriechisch kann ich nicht wirklich was abgewinnen. Für die Allgemeinbildung mag beides wunderbar sein, aber ich glaube, man kann auch ohne Latein und Altgriechisch erfolgreich sein. Humanistische Gymnasien liegen im Trend. Sind sehr begehrt. Was aber insgeheim weniger an ihrem Sprachenangebot liegt als vielmehr an einem gewissen Wertekonservatismus. Eltern denken, dass Menschen, die ihre Kinder auf ein Humanistisches Gymnasium schicken, kultivierte Menschen sein müssen. Also gehen sie davon aus, dass es an solchen Schulen ein so genanntes gutes Umfeld gibt. An der These mag was dran sein, aber ein Kind nur deshalb mit Latein und Altgriechisch zu quälen, ist als Preis zu hoch. Finde ich zumindest. Wüssten wir jetzt schon, dass Claudia Theologin werden wollte, wäre die Sachlage natürlich eine andere. Dagegen spricht allerdings ihre drei in Religion. Insofern bleiben nur das Gemischte Gymnasium und die Mädchenschule.
Ich schlage vor, Claudia zu fragen. Schließlich muss sie hingehen. Sie will, zu unserem großen Erstaunen, auf die Mädchenschule. Insgeheim glaube ich, ihre Entscheidung hat damit zu tun, dass sie weiß, da kann der nasenbohrende Emil trotz all seiner Begabung nicht hin. Ob das als Grund für die Schulwahl ausschlaggebend sein sollte, bin ich mir nicht sicher. Man sollte nicht schon im
Alter von knapp zehn seine Entscheidungen von Männern abhängig machen.
Wir beschließen, sowohl die Mädchenschule als auch das Gemischte Staatliche Gymnasium zu besichtigen. Die Mädchenschule ist kleiner. Übersichtlicher. Allerdings auch sehr viel katholischer. Kein Wunder, schließlich ist es eine kirchliche Privatschule. Das lockt mich nicht direkt. Zur Kirche habe ich ein durchaus gespaltenes Verhältnis. Das Papstfrauenbild und meins sind schlicht nicht kompatibel. Auf der Mädchenschule muss man vorsprechen. Die nehmen nicht einfach jeden, der sich anmeldet. Eine Privatschule kann sich ihre Schüler aussuchen. Das Zeugnis muss stimmen und das Kind muss getauft sein.
Immerhin – wir bekommen einen Termin. Beim Direktor. Die Mädchenschule hat einen Kerl als Chef. Auch komisch. Überall nur Frauen und dirigiert werden sie von einem Mann. Aber er ist sympathisch und freundlich. Zunächst jedenfalls. Es gibt ein Kaltgetränk und Kekse. Claudia ist merkwürdig angespannt. »Benimm dich normal, sei nett und dann nimmt der dich auch«, stimme ich meine Tochter auf das so zukunftsweisende Gespräch ein. Auch Mark, unser Sohn, muss mit zum Direktor. Obwohl er – außer er entscheidet sich in den nächsten Jahren spontan für eine Geschlechtsumwandlung – wohl kaum jemals auf diese Schule gehen wird. »Wir möchten die gesamte Familie kennen lernen«, hat die Sekretärin bei der Terminvergabe gesagt. Christoph ist leider verhindert. »Das schafft ihr schon allein«, hat er nur eben lapidar bemerkt, »ich kann doch nicht an
einem normalen Arbeitstag nachmittags meine Zeit in irgendeiner Schule verbummeln.« »Wehe, du bist blöd«, meckert Claudia ihren Bruder kurz vor dem Termin an. »Was kriege ich, wenn ich lieb bin?«, handelt er einen Benimmtarif aus. Wie clever für ein Kindergartenkind. Insgesamt allerdings eine groteske Situation. Claudia kämmt sich während der Fahrt zur Schule fast manisch die Haare, als wäre ein Wohlwollen des Direktors nur durch angemessene Fellpflege zu erreichen. Ich trage mein klassischstes Outfit, einen dunkelblauen Hosenanzug mit blauem Blüschen drunter. Wir haben ein Schul-Vorstellungsgespräch und sind, bis auf Mark, nervös, als gehe es um sonst was. Aber: Wenn ich antrete, dann will ich schon auch gerne gewinnen. Selbst hier. Ich möchte, dass dieser Schuldirektor sagt: »Klar kann
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