Treuepunkte
auftragen und dann mit Präzision und ruhiger Hand noch den weißen schmalen Rand malen, nur damit nachher alles wie Natur aussieht, ist nichts für mich. Bei mir wird der Rand immer unterschiedlich dick und das sieht dann doof aus. Mein roter Lack ist schon ziemlich eingetrocknet. Ich trage einfach mehrere Schichten auf und dann ist das Ergebnis durchaus vorzeigbar. Wird ja niemand mit der Lupe draufschauen. So von oben gesehen ist es allemal in Ordnung. Leider habe ich mich beim Rasieren mal wieder geschnitten, der Knöchel hat einen ordentlichen
Schmiss und das, obwohl ich Einmalrasierer mit Schutzklinge verwende. Ich bin zu ungeduldig. Selbst beim Rasieren.
Als ich ins Bett steigen will, liegt Christoph schon drin. Möchte ich mit diesem Mann in einem Bett schlafen? Nach dem, was der sich geleistet hat? Wenn ich mich jetzt neben ihn legte, wäre das doch ein eindeutiges Zeichen, dass ich ihm verziehen hätte, oder? Ich bin unsicher, beschließe aber, trotzdem auf der Couch zu schlafen. Ich schnappe mir eine Decke und schleiche mich davon. Christoph grunzt ein bisschen, nimmt aber ansonsten keinerlei Notiz von mir. Also war meine Entscheidung richtig. Der hätte ja wenigstens mal an die Badezimmertür klopfen können und »Gute Nacht« sagen können. Wo hat der sich eigentlich die Zähne geputzt? Ist das nicht schon der zweite Abend ohne Zähneputzen oder hat er bei Belle Michelle schon eine eigene Zahnbürste stehen? So perfekt wie Madam ist, hat die bestimmt immer ein paar, farblich zu den Badezimmerkacheln passende, Gästezahnbürsten parat. Was kümmert es mich – so oder so –, ich schlafe im Wohnzimmer und das nicht mal schlecht.
3
Das Ende vom Lied: Am nächsten Morgen habe ich ein Sofa mit interessanten Farbspuren. Von meinem Nagellack. Eine der Schichten war wohl noch nicht ganz trocken. Das Sofa sieht aus, als hätte ein Gemetzel stattgefunden oder ein Dreh für einen wahrhaft fiesen Psychothriller. Irgendwas mit Kettensägen oder so. Ich lege erst mal ein Kissen drauf, schließlich habe ich heute einiges vor und der Lack ist sowieso schön eingetrocknet. Der rennt mir jedenfalls nicht weg!
Christoph ist ebenso wortkarg wie gestern Abend. Kein: »Hast du gut geschlafen?«, oder: »Wie geht’s dir heute, mein Schatz?« Nichts. Der Alltag läuft trotz allem routiniert weiter. Wir machen das ja nicht den ersten Tag so. Er nimmt Mark mit zum Kindergarten und Claudia läuft in Richtung Schule. Als er das Haus verlässt, ruft er mir ein knappes »Tschüs« zu. Bevor ich antworten kann, ist er auch schon weg. Ich beseitige die Frühstücksspuren, trinke nochmal in Ruhe einen Kaffee und mache mich dann auf den Weg.
Heute ist ein voll verplanter Tag. Fast hätte ich es vergessen. Ich will ja zum Arbeitsamt. Egal wie das mit Christoph weiterläuft, einen Job will ich auf jeden Fall. Sollte er demnächst zu Belle Michelle übersiedeln, brauche ich einen Job – dringender denn je. Und heute Nachmittag liege ich ja auch noch mit Sabine auf der Lauer. Eine Abwechslung ist das zum üblichen Kaffeeklatsch allemal.
Auch mein Outfit ist eine Abwechslung. Normalerweise begehe ich den Mütteralltag nicht im Hosenanzug. Aber fürs Arbeitsamt werfe ich mich in Schale. Ich sehe richtig seriös aus. Und sollte ich einen Unfall haben, kann ich sogar haarlose Waden und glutrote Fußnägel (leicht verschmiert) präsentieren. Unterwegs telefoniere ich rum, um Mark und Claudia heute Mittag anderweitig unterzubringen. Ich habe zwar keine Ahnung von Detektivarbeit – es ist immerhin mein erster Einsatz auf diesem Gebiet –, aber ich habe noch nie gehört, dass man dazu Kinder mitnimmt. Obwohl man sie vielleicht als Tarnung nutzen könnte. Aber ich glaube kaum, dass die beiden Spaß daran hätten, stundenlang mit dunklen Sonnenbrillen im Auto zu warten, bis sich vor der Kanzlei irgendwas tut. Zum Glück finde ich ein Nachmittagsasyl für beide. Ich behaupte, zum Zahnarzt zu müssen, der aber leider keinen Vormittagstermin mehr frei habe. Ich schildere meine akuten Schmerzen so drastisch, dass ich davon fast wirklich Zahnweh bekomme. Ich kann ja schlecht die Wahrheit sagen: »Wissen Sie, ich muss der vermeintlichen Liebhaberin meines Mannes nachstellen und da kann ich die Kinder nicht brauchen.« Das Arbeitsamt liegt am Rande der Innenstadt. Die Parkplatzsituation ist angespannt. Ich weiß das und parke deshalb schon gleich etwa einen halben Kilometer entfernt. Ich bin heute nicht in der Stimmung, abgeschleppt zu
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