Treuepunkte
werden. Jedenfalls nicht von einem professionellen Abschleppunternehmen.
Als ich die Straße entlanggehe, sehe ich ein Schild, das meine Aufmerksamkeit weckt: »Zeitarbeit Frisch.« Zeitarbeit
– das wäre doch eventuell was für mich. Wenn die einen Job für mich hätten, könnte ich mir den Gang zum Arbeitsamt sparen. Das ist Schicksal, die warten quasi auf mich, denke ich und biege ab. Einen Versuch ist es allemal wert. Zum Arbeitsamt kann ich ja immer noch. Ich war vor Jahren mal bei einer Zeitarbeitsfirma unter Vertrag. Damals haben die mich zum Rhein-Main- TV vermittelt und die haben mich dann übernommen. Leider ist die Firma von damals mittlerweile vom Markt verschwunden. Wegen irgendwelcher Betrügereien. Klar habe auch ich schon davon gehört, dass Zeitarbeitsfirmen Ausbeuter sind, den Löwenanteil selbst einkassieren und den Beschäftigten nur kleine Summen zahlen. Aber je nachdem, was sie mir zahlen, soll mir das egal sein.
Das Büro von Zeitarbeit Frisch sieht nicht schlecht aus. Hell und modern, letztlich wahrscheinlich alles von den Angestellten bezahlt. Den Zeitarbeitern. Zeitarbeit, das erinnert mich immer an Momo und die grauen Männer. Genau wie der Angestellte, der sich gleich um mich kümmert. Ein Mann mit einem Teint, der definitiv seit Jahren keine frische Luft gesehen hat. Zeitarbeit Frisch – der Name ist jedenfalls nicht Programm. Immerhin – erster Pluspunkt – keine Wartezeit. Der Mann ist einigermaßen freundlich, aber nicht überschwänglich. Gut, es war mir klar, dass der Arbeitsmarkt auf eine wie mich wohl kaum gewartet hat. »Schade, schade, dass Sie nichts Technisches gelernt haben«, ist sein dritter Satz. »Wir haben enorme Angebote für Elektrotechniker und Ingenieure. Und erst für Maschinenbauer. Wahnsinn, Wahnsinn.« Fein für ihn, aber ich bin nun mal gelernte Speditionskauffrau und schon seit Jahren selbst aus diesem Beruf
raus. »Ich war beim Fernsehen Redaktionsassistentin, kann mit dem Computer umgehen, gut mit Menschen arbeiten und beherrsche Excel.« Das musste ich unterbringen. Auf meine Excel-Fähigkeiten bin ich sehr stolz. Niemand macht so herrliche Tabellen wie ich. »Das ist heute Standard«, dämpft das Graugesicht meine Euphorie. »Fast schon Mindestanforderung.« Ich wollte, ich wäre zum Arbeitsamt gegangen. Vielleicht hätte ich die beeindrucken können. Ich bin schon nach knappen fünf Minuten so weit, aufzuspringen und zu rufen: »Dann eben nicht, der Herr.« Wie geht es da Menschen, die Woche für Woche solchen Kerlen gegenübersitzen und sich Herablassendes anhören müssen? Kein Wunder, dass manche lieber auf dem Sofa liegen bleiben. Man ist ja hier, weil man arbeiten will. Wollte ich mich schnell und effektiv demütigen, würde es reichen, auf die Waage zu steigen. Ich meine, der Typ ist mit Sicherheit auch kein Ingenieur, sondern irgendeine Bürofachkraft. Wenigstens das muss ich hier noch loswerden: »Sie sind ja leider ebenso wenig ein Ingenieur, Herr Hiller«, sage ich in allerfreundlichstem Ton. »Nein, keineswegs, keineswegs«, antwortet Herr Hiller und sein ohnehin schmales Mündchen wird unter seinem imposanten Schnauzbart noch ein bisschen schmaler. Immerhin – ich konnte ihn ein wenig zurückärgern. »Ich bin Personalfachkraft«, beeilt sich Herr Hiller noch zu sagen, »und habe eine Zusatzausbildung in Psychologie.« Oh, jetzt will er es mir aber zeigen, der Herr Hiller. Was der kann, kann ich auch: »So ein Zufall«, betone ich, »das ist ja ganz ähnlich wie bei mir. Ich habe mich pädagogisch weitergebildet.« Ich finde, wer zwei Kinder über einige Jahre großgezogen hat, darf das
ruhig mal behaupten. In Gedanken entschuldige ich mich bei allen wirklichen Pädagoginnen. »So, so«, brummelt Herr Hiller, »dann wollen wir mal schauen, ob wir da was haben.« »Hilfskraft im Kindergarten, käme das infrage?«, fragt er erwartungsvoll. Ich würde am liebsten sagen, dass das in etwa meinem momentanen Berufsprofil entspricht. Hilfskraft im Kindergarten und Haushaltshilfe gleich Mutter. »Nein, das scheint mir nicht geeignet. Wissen Sie, Herr Hiller, da kommt mein kaufmännisches Wissen wohl nicht arg zur Geltung. Und auch finanziell klingt es nicht irre interessant.« Er hat zwar noch nichts übers Gehalt gesagt, aber schon Erzieherinnen kriegen ein Gehalt, dass einem keine Freudentränen kommen. Was da eine Hilfskraft im Kindergarten verdient, will ich gar nicht wissen. »Gut, gut«, sagt Herr Hiller nur. Wie nervig, diese
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