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Treuepunkte

Treuepunkte

Titel: Treuepunkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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haben.« Er stutzt. »Welcher Analytiker? Ich bin in einem Flirtseminar ›Kennen lernen leicht gemacht‹.« Das war ja jetzt wohl das, was man klassisches Aneinandervorbeireden nennt. Graugesicht macht also ein Flirtseminar. Aber was will der da an meinem Tisch? Bedeutet das, Herr Hiller flirtet mit mir? Hilfe! »Trinken Sie auch so gerne Cappuccino?«, verlagert er jetzt das Gespräch auf
ein anderes Thema. Wahrscheinlich ist ihm klar geworden, dass es ein wenig ungeschickt ist, direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. »Ja, klar. Sonst hätte ich ja keinen bestellt«, antworte ich und überlege, wie ich das brünstige Graugesicht wieder elegant loswerden kann. »Wenn Sie auch gerne Cappuccino trinken, dann können wir ja mal zusammen einen Cappuccino trinken«, legt Herr Hiller jetzt richtig los. »Das tun wir doch schon, Herr Hiller«, versuche ich, ihn ein bisschen zu beruhigen. »Wir trinken Cappuccino – also jedenfalls ich – und wenn Sie der Kellnerin sagen, dass Sie auch einen wollen, dann ist es so weit und wir trinken zusammen Kaffee.« »Hm, hm, hm«, stammelt Herr Hiller verlegen, »also ich finde Sie sehr, sehr interessant.« Oh, das sieht mir schon nach Phase zwei aus. Komplimente machen, bevor die Beute reif fürs Nach-Hause-Bringen ist.
    Jetzt muss ich wirklich sehen, dass ich Land gewinne, sonst tatscht der mich noch an. Er leckt sich schon dauernd seine schmalen Lippen und fährt sich mit der Hand durchs übersichtliche Haupthaar. Ich habe den Eindruck, im Seminar war auch Körpersprache ein Thema. Dieses Gelecke und Haargefummel sollen Zeichen sein. Ich muss kurzen Prozess machen. »Herr Hiller, danke fürs Kompliment, ich hatte vorhin gar nicht den Eindruck, dass Sie mich so interessant finden, aber es freut mich natürlich.« Bevor ich sagen kann, dass ich jetzt unbedingt los muss, räuspert sich Herr Hiller. »Ehrlich gesagt, Frau Schnidt, ich fand Sie auch nicht so interessant. Aber als Sie hier saßen, dachte ich, die kennst du wenigstens ein bisschen, die kann nicht gleich wegrennen. Und mein Seminarleiter, der Herr Gölgner, hat
gesagt, wenn uns nichts anderes einfällt, sollten wir ›interessant‹ sagen. Und ehrlich sein.« Das wäre ein schönes Suchspiel: Wie viele Unverschämtheiten waren in diesem Satz versteckt? Ich bin nicht interessant, aber außer interessant ist ihm bei meinem Anblick nichts eingefallen und er hat mich nur angesprochen, weil er wusste, dass ich wegen des Jobs nicht direkt wegrennen würde. Job hin, Job her, da hört nun wirklich der Spaß auf. »Herr Hiller, ich glaube, Sie brauchen noch sehr viel Training«, sage ich total streng und gucke ihn dabei so böse wie möglich an. »Frau Schnidt, Entschuldigung, ich bin, ach es ist nur, ich kann es einfach nicht.« Er schnüffelt. Mein Gott, der wird doch hier, mitten im Café, nicht anfangen zu weinen. Doch – er tut es. Und das auch noch ziemlich lautstark. »Ich versaue es immer«, unterbricht er einen Weinkrampf, »nicht mal Sie mögen mich. Ich sehe es doch.« »Nicht mal Sie« war schon wieder frech, aber ich kann schlecht auf einen draufhauen, der schon nicht mal mehr am Boden, sondern fast darunter liegt. Ich reiche ihm ein Taschentuch und bitte ihn, sich erst mal zu beruhigen.
    Das ganze Café schaut so unauffällig wie möglich zu unserem Tisch. Bestimmt denken alle, ich hätte Herrn Hiller unendliches Leid zugefügt. Ihn gerade verlassen oder so. Wie peinlich, denn das bedeutet im Umkehrschluss ja auch, dass ich mit Herrn Hiller zusammen war. Sein Weinen macht mich jedenfalls offensichtlich unbeliebt. Dabei war er derjenige, der frech war. Immerhin hat er jetzt schon wieder eine bessere Gesichtsfarbe und langsam versiegen auch die Tränen. »Entschuldigung, Frau Schnidt, das musste mal sein«, sagt er und schnäuzt sich gründlich. »Vergessen Sie alles, was ich je gesagt
habe, Sie sind eine gute Frau, so verständnisvoll, aber ich lasse Sie in Ruhe. Frauen wie Sie geben sich nicht mit Männern wie mir ab. Es ist immer das Gleiche.« Ja, da hat der Herr Hiller mal was Wahres gesagt. Ich bin eine gute Frau, auch wenn das in meinem Umfeld einige zurzeit nicht kapieren. »Oder würden Sie mit mir vielleicht mal ausgehen?«, fragt er nun schüchtern. Wie komme ich aus dieser Nummer jetzt raus? Wenn ich nein sage, fängt der garantiert direkt wieder das Heulen an. »Ja, warum denn nicht«, sage ich deshalb und hoffe, dass er das schnell wieder vergisst. Ansonsten muss ich meinen Mann ins Spiel bringen.

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