Treuepunkte
Feuer!« Alle nicken und können es kaum abwarten, bis ich mich verziehe.
Es ist schwer, nicht alle fünf Minuten nach unten zu laufen, um zu schauen, was die Bande so treibt. Die Geräusche lassen auf Schlimmes schließen. Ich höre Wasser und hoffe, dass sie nicht ganze Etagen fluten. Ich fühle mich keineswegs entspannt, was bei dem Lärmpegel auch nahezu unmöglich ist, aber ich schaffe es, nicht hinzurennen und rumzuschreien. Vielleicht ist das überhaupt die Lösung bei Kinderbesuch – einfach in Ruhe lassen und dafür eine halbe Stunde zur Beseitigung der gröbsten Unordnung einzukalkulieren. Dann regt man sich nicht permanent auf, sondern nur einmal geballt.
Es wird tatsächlich ein netter Nachmittag. Ich muss zweimal Kinderhintern – fremde! – abputzen, ansonsten bleibe ich verschont. Zwischendrin, während ich mir mal wieder die Beine rasiere (wenn nur alles so gedeihen würde wie meine Behaarung), habe ich kurz ein schlechtes Gewissen. Der arme Christoph. Kommt extra wegen mir heim und zum Dank erwarten ihn acht Kinder und
ein Saustall. Bevor ich zu mitleidig werde, rufe ich mir nochmal schnell die Begebenheit mit Belle Michelle in Erinnerung. Ich bin – das muss ich gestehen – eine Frau mit Hang zur Rachsucht. Aber im Vergleich zu anderen geht es eigentlich noch. Ich habe schon von Frauen gelesen, die das Auto ihres Mannes angesteckt haben, seine Klamotten zerschnitten oder seine komplette Sammlung von Modellflugzeugen bei E-Bay vertickt haben. Dagegen bin ich fast schon sanftmütig. Es hätte ihn also wesentlich schlimmer erwischen können. Okay – er hat nicht mal Modellflugzeuge, die ich verkaufen könnte, aber ein brennender BMW – nämlich seiner – würde ihn schon sehr treffen.
Gegen halb sieben traue ich mich erstmals an diesem Nachmittag ins untere Stockwerk. Ich bin erstaunt. Die Kinder haben wesentlich weniger Dreck gemacht als erhofft und hocken kollektiv vor der Glotze. Man gibt ihnen die Chance, all das zu tun, was sie wollen, und sie schauen fern. Insgesamt sieht es eigentlich noch recht manierlich aus. Jedenfalls im Wohnzimmer. Die Küche hingegen ist ein wahres Schlachtfeld. Alles steht voll mit benutzten Gläsern, überall liegen Verpackungsreste, Kekskrümel, und quer über die Arbeitsfläche zieht sich eine Spur aus Müsli und Marmelade. Mein erster Impuls ist es, zum Lappen zu greifen. Ich muss mich richtiggehend beherrschen, aber eigentlich ist es so geradezu perfekt. Christoph wird mit Belle Michelle ins Haus kommen, zuerst das Wohnzimmer sehen und dann wartet diese nette kleine Überraschung in der Küche auf ihn. Bevor er sich seiner Belle Michelle widmen kann, hat er auf jeden Fall noch gut was zu tun. Der Gedanke macht mir Spaß. Ich
gehe aus und Christoph kann sich der Küche annehmen. Belle Michelle mit Spüllappen und Kehrschaufel – eine schöne Vorstellung.
Sabine hat am Nachmittag nochmal angerufen und gesagt, ich solle mich für die Vernissage richtig in Schale werfen, und so haben wir in einem halbstündigen Gespräch unsere Outfits abgestimmt. Sabine ist gerne mal overdressed. Sie hat mir mehrfach gesagt, dass so eine Vernissage eine wirklich schicke Angelegenheit ist. Sie selbst wird ein pinkes Top und pinke Pumps und dazu eine schwarze Röhrenjeans tragen. Ich solle ja nicht in meinem Vorstadt-Mutti-Look auflaufen. Vorstadt-Mutti-Look? Ich bin fast ein bisschen beleidigt. Die tut ja gerade so, als würde ich rund um die Uhr in Leggings und Gesundheitslatschen rumrennen. Ganz so ist es ja nun nicht.
Ich gebe allerdings zu, nicht zu den Müttern zu gehören, die sich schon für die Fahrt zum Kindergarten aufbrezeln, als ginge es zu einem Date. Das ist mir einfach zu mühsam. Vielleicht bin ich auch nur zu faul. Ich finde, das ist aber auch einer der wenigen Vorteile des klassischen Hausfrauendaseins. Sich nicht schon morgens auf die geschwollenen Augen kunstvoll Lidschatten auftragen zu müssen. Für mein Leben an der Leggingsfront langt ein Hauch Wimperntusche, etwas Lipgloss (wenn er gerade zur Hand ist) und ein Haargummi für die Spaghettihaare, die übrigens ziemlich schlimm aussehen. Etwa so wie ich mich fühle. Meine Haare – Abbild meines Lebens. Sie hängen trostlos in Kinnhöhe rum, sind nicht zipfelig fransig, sondern sehen angefressen aus, und
das Einzige, was positiv auffällt, sind die verschiedenen Farbschattierungen. Dabei habe ich mir wirklich Mühe mit ihnen gegeben – nach dem Duschen jedes Stylingprodukt aufgetragen, das ich
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