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Treuepunkte

Treuepunkte

Titel: Treuepunkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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passiert es. Mein Handy klingelt. In höchster Lautstärke und mit meiner neuen Melodie, der von »Desperate Housewives«. Alle glotzen mich an. So entsetzt, als hätte ich auf die Kunstwerke gespuckt. Ich versuche, ohne hinzuschauen, die Austaste zu erwischen, aber das Chaos in meiner Handtasche will das nicht zulassen. Ich wispere »Entschuldigung« und renne raus. Gott, ist das alles peinlich. Bis ich draußen bin, hat das Klingeln wieder aufgehört. Wer mich so grauslich blamiert hat, kann ich nicht erkennen. Rufnummerunterdrückung. Jetzt kann ich entweder hier draußen dumm rumstehen, bis Sabine mit dem Ziegenbärtchen einig ist, oder aber all meinen Mut zusammennehmen und wieder reingehen. Ich weiß gar nicht, warum mich diese Art Leute so zornig macht. Arrogante Kotzbrocken. Man hätte doch auch lachen können über die kleine Handypanne.
Schließlich war es ja kein Staatsbegräbnis, das ich kurz gestört habe – aber alle haben so geschaut als ob. Eine gewisse kritische Selbstbetrachtung würde dieser Bagage auch nicht schaden, denke ich, raffe mich auf und gehe zurück in die Galerie. Ich, Andrea Schnidt, habe schon Peinlicheres erlebt und überstanden.
    Die Ansprache ist mittlerweile beendet und Sabine noch immer eifrig im Gespräch mit dem langen Ziegenbart. Ich setze meine Betrachtungsrunde fort und ein ganz nett aussehender Typ gesellt sich zu mir. »Und, mögen Sie es?«, fragt er mich. Ich gucke ihn mir gründlich an. Er sieht nicht ganz so verschroben und pseudointellektuell wie der Rest der Vernissage-Besucher aus. Eigentlich sogar recht sympathisch. Er trägt Jeans und hat ein verwaschenes T-Shirt und ein dunkles krumpeliges Samtjackett an. Seine Haare sind schulterlang, wie meine etwa, aber ungefähr doppelt so dick. Welch eine Verschwendung. Wozu braucht der so viel Haar? Er hat einen Dreitagebart, was ich sonst eigentlich ungepflegt finde, bei ihm aber durchaus markant. Zudem ist er einer der wenigen, der keine schwarzgerahmte Brille trägt. »Na ja«, antworte ich vorsichtig, »es ist schon irgendwie interessant.« Er blickt mir ins Gesicht und grinst. »Interessant?«, fragt er mich. Mit so einem Unterton. Als würde er sich über die Bilder lustig machen. Oder über meine Bemerkung. Interessant ist wirklich eine sackblöde Äußerung. Sagt man nicht immer interessant, wenn man etwas eigentlich abscheulich findet, es aber nicht zugeben will? »Würden Sie denn eines der Bilder kaufen und es sich ins Wohnzimmer hängen?«, fragt er weiter und kichert so, als sei das wirklich eine abstruse Vorstellung.
    Ich sehe mir eines der Bilder nochmal genauer an. Diesmal sind es drei parallel verlaufende Bleistiftstriche, schnurgerade und dazu der Spruch: »Alles hat ein Ende.« Unten steht ganz klein der Preis. 480  Euro. Der Galerist ist ja wohl von allen guten Geistern verlassen. Ich meine – nichts gegen Kunst, aber knapp 500  Euro für drei Striche und einen ziemlich profanen Satz ist doch übertrieben. Ich entschließe mich, die Wahrheit oder wenigstens annähernd die Wahrheit zu sagen: »Nee, ich würde das auf keinen Fall kaufen. Das hat so was von den Kritzeleien hormongeschüttelter Teenies in der zwölften Klasse, die gerade voll auf Hermann Hesse abfahren und sich für geniale Künstler halten.« Hormongeschüttelte Teenies, die auf Hermann Hesse abfahren – das war auf jeden Fall geistreicher als interessant. Er grinst immer noch. Ich glaube, ich habe einen Gleichgesinnten gefunden. Jetzt lege ich nochmal nach. »Das ist mir zu wenig Kunst. Ich mag es, wenn jemand malen kann. Oder tolle Fotos macht. Aber das hier. Das ist doch irgendwie albern. Drei Linien ziehen.« Ich strecke ihm meine Hand hin und sage: »Übrigens, ich bin Andrea, Andrea Schnidt. Schön Sie zu treffen, hier in diesem Haufen.« Als er mir antworten will, ruft der Galerist: »Philipp, kannst du mal kommen? Da will jemand noch was Genaueres über deine Bilder wissen.« Er lacht laut, dreht sich um und sagt: »Danke für Ihre Meinung. Sehr aufschlussreich«, und weg ist er. Philipp. Großartig! Ich habe gerade dem Künstler höchstpersönlich gesagt, dass er pubertäres Zeug macht und ich etwas Derartiges niemals kaufen würde.
    Es ist jetzt wirklich höchste Zeit zu gehen – Ziegenbart hin oder her. Ich gehe zu Sabine, packe sie am Ärmel
und ziehe sie zu mir. Leider stolpert sie ein wenig – kein Wunder bei ihren Mörderpumps – und stößt mit dem Fuß gegen ein schiefes Kinderkorbstühlchen, das an der Wand lehnt.

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