Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treuepunkte

Treuepunkte

Titel: Treuepunkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
Vom Netzwerk:
»Gibt’s auch was zu essen?«, frage ich, da ich erstmals nach dem Sirtaki-Besuch wieder so etwas wie Appetit verspüre. Sabine hat keine Ahnung. »Was weiß ich. Ich gehe doch sonst nie auf Vernissagen. Wir werden es sehen. Sonst gehen wir danach
eben noch was essen. Und außerdem würde es uns auch nicht schaden, einen Abend mal nichts zu essen.« So gesehen hat sie sicherlich Recht. Außerdem ist mir immer noch ein bisschen mulmig im Magen.
    Als wir den Raum betreten – eine kleine Galerie in der Braubachstraße, gleich beim Römer –, ist eines offensichtlich. Sabine und ich haben keine Ahnung davon, was in der Kunstszene angesagt ist. Wir stehen da – in Pink und Türkis – und sehen aus wie Farbflecken in einer ansonsten komplett schwarzen Umgebung. Eine Frau trägt eine dunkelrote Brille, aber das war’s dann auch schon an Farbe. Ansonsten macht es allerdings stark den Anschein, als hätte sich hier eine Trauergemeinde versammelt. Warum bloß habe ich mich von Sabine in puncto Klamotten beschwatzen lassen? Schon beim Betreten der Räumlichkeiten ziehen wir alle Aufmerksamkeit auf uns. Wir hätten nicht mehr im Mittelpunkt stehen können, selbst wenn wir nackt gewesen wären. Alles starrt uns an. Ich mache versuchsweise ein ganz freundliches Gesicht und sage »Guten Abend« in die Runde. Das kann ja als Einstieg so verkehrt nicht sein. Ich ernte ein leichtes Nicken von einigen der Anwesenden. Der Rest tut allerdings geradezu so, als hätte er überhaupt nichts gehört. Das wird ja ein Spitzenabend! Ich habe mich selten hinterwäldlerischer gefühlt. Hier gucken alle so ernst, als wäre jeder Einzelne von ihnen mindestens eine Art Reich-Ranicki der Kunstszene und würde von früh bis spät die internationalen Feuilletons studieren. Oder gar selbst schreiben.
    »Lass uns wieder gehen«, versuche ich, Sabine zu überreden. Zu spät. Sie hat in der hintersten Ecke des Raumes potenzielle Beute erspäht. Ihr Blick verrät das Objekt der
Begierde: ein großgewachsener Schlaks mit Ziegenbärtchen. Ich gebe mich geschlagen, denn ich weiß, wenn Sabine auf der Pirsch ist, hält sie nichts und niemand auf. »Ich schau mich mal um«, sagt sie nur und steuert zielstrebig auf ihr Opfer zu. Sie ist eine Art menschliche Kriebelmücke – sondiert die Lage, umkreist dann ihr Opfer und ehe es sich versieht, hat sie zugeschnappt. Kriebelmücken stechen nicht, sie beißen kleine Stückchen raus und sind sehr, sehr anhängliche Tierchen.
    Merkt Sabine denn nichts? Spürt die denn diese Atmosphäre hier nicht? Ich komme mir vor wie eine Kader Loth unter Nobelpreisträgern und ärgere mich über meine Unsicherheit. Was bilden diese Typen sich eigentlich ein? Ich nehme mir ein Glas Weißweinschorle vom Büfett. Mehr gibt es auch nicht. Wasser, Weißwein oder eben Schorle. »Was nun, Schnidt?«, denke ich. Ich stehe erst mal nur da, mein Glas in der Hand, und versuche, so unauffällig wie möglich zu sein. Sabine ist wesentlich hemmungsloser als ich. Sie hat es tatsächlich geschafft, das Ziegenbärtchen in ein Gespräch zu verwickeln. Nach einiger Zeit des Rumstehens, die sich wie eine Ewigkeit anfühlt, ohne dass irgendjemand auch nur ein Wort an mich gerichtet hätte, beschließe ich, mir dann eben doch mal die Kunst anzuschauen. Wenn ich schon hier bin, kann ich ja wenigstens was für die Erweiterung meines Horizonts tun.
    Die Zeichnungen sind sehr schlicht gehalten. Bleistiftlinien auf weißem Papier. Sehr gerade Linien, wie mit dem Lineal gezogen. Manchmal bilden sie ein Dreieck, manchmal kreuzen sich die Linien, aber es sind immer Linien. Dazu kommt auf jedem Blatt ein Satz. Getippt.
Im Dreieck steht zum Beispiel: »Der Ball ist rund.« Mmh. Ich bin ratlos. Ich hasse es, wenn Menschen, wie mein Vater zum Beispiel, so blöde sagen: »Das könnte ich auch« oder: »Das malen ja Vorschulkinder besser«, aber ich muss gestehen, es fällt mir schwer, genau diese Gedanken zu unterdrücken. Ich will ja moderne Kunst mögen, aber bei diesen Werken erscheint mir das kaum machbar. Wie sagt man so schön: Ich finde irgendwie keinen Zugang.
    Ein grauhaariger Mann um die Fünfzig, im schwarzen Cordjackett, erhebt die Stimme. Es ist offensichtlich der Galerist. »Liebe Kunstfreunde«, begrüßt er die Versammelten und ich fühle mich direkt ertappt. Von wegen Kunstfreundin. Banausin wäre wohl treffender. Er sei stolz, die beiden Künstler hier bei sich präsentieren zu dürfen, denn auf sie warte eine große Zukunft. Beim Wort Zukunft

Weitere Kostenlose Bücher