Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
sich wieder auf ihren Platz. »Ich fand es einfach beruhigend, etwas in der Hand zu haben … Etwas, das mir eine gewisse Sicherheit bietet. Klingt irgendwie albern, nicht?«
Ich schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, überhaupt nicht.«
Sie zuckte die Schultern, dann nickte sie. »Tja, ich schätze, so albern war es tatsächlich nicht.«
Ich lächelte, obwohl ich wie auf Nadeln saß. Das musste sie sein. Meine Rettung. Der Schlüssel für die rostigen Ketten, die mich an diesen ekligen Kerl und seine üblen Machenschaften fesselten.
Endlich ließ sie zögernd die Arme sinken, entspannte die Finger, die den braunen Umschlag hielten.
Es kam mir vor, als wäre sie im Begriff, sich von einem alten Freund zu trennen. Von der Decke, die sie nachts gewärmt hatte. Von dem Licht in der Dunkelheit ihres Lebens.
Dann lachte sie unversehens über ihre Naivität, über ihr kindliches Bedürfnis, sich an etwas zu klammern, von dem sie sich Schutz und Sicherheit erhofft hatte, denn wie sich inzwischen herausgestellt hatte, gab es keinen Schutz, keine Sicherheit. Sie schob den Umschlag über den Tisch. »Wie es aussieht, haben Sie jetzt etwas in der Hand.«
Raymond Jacobs war sichtlich zufrieden mit sich.
Er hatte es geschafft – er hatte mich in sein Netz aus Intrigen und Illusionen gelockt, und ich hatte mich hoffnungslos darin verstrickt.
Da saß ich nun verloren auf seinem roten Ledersofa und war ihm hilflos ausgeliefert. Bereit, mich zu ergeben. Mich ihm nicht nur im übertragenen Sinn zu ergeben und meine Niederlage zu akzeptieren.
Diesmal ging der Sieg an ihn.
Diesmal hatte er den Bezwinger bezwungen.
Diesmal hatte er dafür gesorgt, dass ich mir klein und hilflos vorkam, genau wie ich es mit ihm getan hatte. Und er kostete seinen verdienten Triumph in vollen Zügen aus.
Er fischte einen zerknitterten Zettel aus der Hosentasche, zog angeberisch einen glänzenden silbernen Kugelschreiber aus der Innentasche seines Sakkos, erweckte ihn mit einem schwungvollen Klicken zum Leben und kritzelte etwas auf den Zettel.
»Hier, meine Adresse. Sagen wir um halb elf? Es sollte nicht allzu spät werden, ich muss morgen gleich in aller Herrgottsfrühe zu einem Meeting.«
Er reichte mir mit einem Augenzwinkern das Stück Papier. Zögernd nahm ich das Todesurteil aus seiner widerlichen Pranke entgegen, und noch während ich versuchte, sein schwarzes Gekritzel zu entziffern, erhob er sich und streckte mir gönnerhaft lächelnd die Hand hin, als hätten wir soeben ein Geschäft abgeschlossen. Als könnte ich nun, da wir uns einig waren, mit meinen Bauarbeiten oder Investitionen oder was auch immer loslegen.
Doch anstatt sie zu ergreifen, starrte ich erst die Hand und dann Raymond Jacobs an und sagte ruhig: »Ich fürchte, Sie täuschen sich.«
Er grinste amüsiert. »Ach ja? Inwiefern?«
Ich schluckte, als käme mir das, was ich gleich sagen würde, nur sehr schwer über die Lippen, dabei hatte ich sehnsüchtig, aufgeregt, atemlos auf diesen Moment gewartet, seit ich zur Tür hereinspaziert war. »Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, bei meinem Vorschlag würde nichts für Sie herausspringen.«
Er grinste noch immer. Mein vermeintlicher Versuch, in letzter Minute einen besseren Deal auszuhandeln, erheiterte ihn. »Was springt denn für mich dabei raus, meine Liebe?«
»Diskretion«, erwiderte ich sachlich.
Er wirkte einen Augenblick verdutzt, hatte sich aber gleich wieder im Griff. »Diskretion, hm? Wessen Diskretion?«
» Meine Diskretion.«
Sein selbstgefälliges Grinsen wich einem Ausdruck der Verärgerung. Er verdrehte die Augen. »Wovon redest du?«, knurrte er ungeduldig.
Ich hatte im Gegensatz zu ihm noch jede Menge Geduld. Genug für ein ganzes Leben. »Vom fünfzehnten März 1989«, erklärte ich schlicht.
Fünfzehnter März 1989, das war mir gestern auf dem Zettel, den ich hastig aus Anne Jacobs mysteriösem braunen Umschlag gezogen hatte, als Erstes ins Auge gesprungen. Und zwar deshalb, weil es jemand mit Textmarker angestrichen hatte. Genau wie in jeder der zehn Zeilen darunter. Überall dasselbe Datum – fünfzehnter März 1989.
»Was ist das?«, fragte ich ratlos. Ich konnte meine Neugier nicht länger zügeln.
»Sehen Sie sich die markierten Stellen an«, befahl sie. Das tue ich doch schon, dachte ich frustriert. Sie ergeben keinen Sinn! Ich überflog sie zum x-ten Mal und hob dann verzweifelt den Blick. »Das ist eine Liste von Börsengeschäften, die allesamt am fünfzehnten März
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