Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
zuletzt besuchte Seite anklickte, fragte ich mich unwillkürlich, ob ich eigentlich selbst genau wusste, womit ich mir meinen Lebensunterhalt verdiente. Ein Teil von mir wollte die Arbeit wieder aufnehmen, die Mission fortsetzen. Genau da weitermachen, wo ich aufgehört hatte, als wäre ich nie weg gewesen. Mistkerle wie Jamie Richards lieferten jedenfalls schlagkräftige Argumente für diese Option. Und diese nicht eben subtile und sehr persönliche Erinnerung daran, dass dieser Typ Mann noch zuhauf dort draußen herumlief, weckte in mir den Drang, den Kampf umgehend wieder aufzunehmen.
Aber es gab auch jede Menge Gründe, die dagegen sprachen.
Die Geheimniskrämerei, die Lügen, die ich den Menschen, die ich liebte – und allen anderen auch – würde auftischen müssen.
»Meine Familie weiß von alledem nichts«, sagte ich, zu Anne gewandt.
Sie beäugte mich misstrauisch. »Kann ich mir vorstellen.«
Ich drehte den Laptop um und ließ ihr ausreichend Zeit, zu verarbeiten, was auf dem Bildschirm zu sehen war. »Das hat Ihr Mann veranlasst, eine Woche, nachdem er beim Treuetest durchgefallen war«, fügte ich schließlich ausdruckslos hinzu. »Und er weigert sich, die Domain vom Server zu nehmen.«
Ich verfolgte, wie sie die Seite schweigend überflog. Schließlich huschte ein boshaftes Lächeln über ihr Gesicht.
Meine Hoffnung schwand. Sie mokierte sich über mich, weidete sich an meinem Unglück. Und ich konnte es ihr nicht einmal übel nehmen, obwohl ich wusste, dass sie mich zu Unrecht für schuldig hielt.
Es dauert eben, bis ein gebrochenes Herz wieder heil wird. Am Wichtigsten ist doch, dass es überhaupt heilt.
Ich nickte resigniert, während ich bedächtig meinen Laptop zuklappte und wieder in der Tasche verstaute. »Dann will ich mal nicht länger stören. Tut mir leid, dass ich Ihre Zeit verschwendet habe.«
Ich schulterte meine Handtasche und erhob mich. Hätte ich mir eigentlich denken können, dass meine Chancen schlecht standen.
»Warten Sie.«
Ich drehte mich um. »Ja?«
»Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie wollen.« Ihr Tonfall verriet nichts. Er war nach wie vor unbeteiligt und reserviert.
Trotzdem schöpfte ich neue Hoffnung. »Nun …« Ich stand unbeholfen da, mitten in ihrem Wohnzimmer. »Ich habe nichts gegen ihn in der Hand. Keine Möglichkeit, zu verhandeln. Ich weiß nur, dass Sie sagten, Mr. Jacobs Ruf sei von größter Wichtigkeit, und da dachte ich …« Ich verstummte in der Hoffnung, sie würde begreifen, worauf ich hinauswollte, ohne dass ich es aussprechen musste: Ich brauche ein Druckmittel.
»Tut mir leid, ich habe keine Ahnung, was Sie von mir erwarten.« Sie warf mir einen leeren Blick zu, als hätte die vorangegangene Unterhaltung nie stattgefunden.
War das nun mein Stichwort zu gehen? Ich trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.
Unentschlossen öffnete ich den Mund, obwohl ich nicht recht wusste, was ich als Nächstes sagen sollte. Sofern ich überhaupt etwas herausbrachte. Aber noch ehe ich mich gesammelt und mir einen Satzanfang zurechtgelegt hatte, der zur Abwechslung nicht – wie alle anderen in den vergangenen zwei Tagen – aus einem »Ähm« bestand, bildete sich ein Lächeln auf Anne Jacobs Lippen. Ein fieses, hinterhältiges Lächeln, wie man es von den bösen Hexen und Zauberern aus Kinderfilmen kennt.
»Aber ich habe da etwas, das Sie interessieren könnte«, verkündete sie schließlich.
33
Hüte dich vor den Iden des März
»Du hast dich also entschlossen, mir noch einmal einen Besuch abzustatten«, stellte Raymond Jacobs selbstgefällig fest, als ich erneut sein geräumiges Eckbüro betrat und wie schon beim letzten Mal auf dem Sofa schräg gegenüber von seinem Schreibtisch Platz nahm.
Ich nickte, wobei ich als Eingeständnis meiner Niederlage den Kopf gesenkt hielt.
»Welchem Umstand verdanke ich diese Ehre? Ich hoffe doch, du hast dir mein Angebot durch den Kopf gehen lassen?«
»Ich …« Ich hob ein wenig den Kopf. Kleinlaut, unsicher. »Ich halte es nicht mehr aus. Die Webseite, die E-Mails, die Briefe an meine Nichte …« Ich brach ab, als wäre die quälende Erinnerung an Hannahs fragende Miene einfach zuviel für mich.
Er erhob sich lächelnd, nickte mitfühlend. »Tja, da bin ich wohl doch etwas zu weit gegangen …«
Ich sah ihn hoffnungsvoll an, während er zu der kleinen Bar in der Ecke ging und sich einen klaren, dickflüssigen Drink eingoss. »Kann ich dir auch etwas anbieten?«
Ich schüttelte den Kopf.
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