Trias
derartigen Racheakt?«
»Auch die schlechten Dinge brauchen Zeit, sich zu entwickeln«, fuhr Kaltenborn fort. »Nehmen Sie die Al-Quaida-Schläfer in Köln und Amsterdam. Sie schlugen erst zu, als wirklich jeder Handgriff für ihren Kamikaze im Concertgebouw saß. Ich muss nun aber …«
Croy ahnte, was passieren würde.
»Moment!«, verhinderte er einen vorzeitigen Abgang seines Chefs. »Ich schlage vor, die Ermittlungen in diesem Fall an mich zu übergeben«, fügte er an. »Eine gute Gelegenheit, der Theorie endlich mal Praxis folgen zu lassen. Unsere Strategiespiele der letzten Monate können jetzt beweisen, ob sie im Alltag etwas taugen. Was meinen Sie?«
»Sie als mein Sonderermittler? Undercover? Keine schlechte Idee, ich denke darüber nach. Bis morgen.«
Croy war immer noch extrem angespannt. Das Herz pochte ihm bis zum Hals.
Als es nur wenig später klopfte, schreckte er leicht zusammen.
»Darf ich eintreten?« Die Stimme klang hell und jung.
Das Mädchen trug eine blaue Dienstmütze und ein blaues kurzes Kostüm.
Sie betrat schüchtern den Raum. Er sah gebannt zu ihr hin. Sie war ganz und gar sein Typ. Wenn es Wassernixen gäbe, sähen sie bestimmt so aus, dachte er. Am Kragen ihrer Bluse klebte ein Schildchen mit einem Namen: Janina.
»Wein und Wasser«, sagte sie und stellte vorsichtig das Tablett mit zwei Gläsern und zwei Karaffen vor ihn auf den Tisch. Dabei fiel ihr Blick auf Croys Oberarme, auf die Muskeln, die sich unter seinem Shirt sichtbar spannten. Sie wandte sich scheu ab, wollte zurück zur Tür.
»Warten Sie, bitte«, sagte Croy. »Würden Sie mir noch einen Gefallen tun?«
Sie nickte leicht.
In seiner Fantasie begann sie sich langsam auszuziehen, kam zu ihm herüber, drückte ihn aufs Bett … Er riss sich zusammen:
»Lassen Sie bitte mein Oberhemd bügeln. Ich brauche es morgen zeitig.«
»Natürlich. Wird erledigt.« Sie hielt seinem Blick kurz stand. Ihre Augen streiften beim Hinausgehen die auf dem Tisch liegende Waffe des Kommissars. Ihre Augenbraue hob sich für den Bruchteil einer Sekunde. Die Mündung zeigte auf ihren Rock.
Sie verließ den Raum. Die Tür fiel beinahe lautlos ins Schloss. Er hörte sie raschelnd zum Fahrstuhl gehen.
Nebel war vom Meer her aufgezogen und hatte die grelle Hotelbeleuchtung zu einem diffusen Licht abgeschwächt. Der Wind hatte stark aufgefrischt. Croy schloss das Fenster und grübelte über die letzten Minuten nach. Bald danach zog er sein GT-Rennrad unter dem Hotelbett hervor, trug es aus dem Zimmer und kämpfte auf der Promenade entlang des Wassers verbissen gegen die Böen an.
6
Bundeskanzleramt Berlin, 18:32 Uhr
Im politischen Berlin hatte der Tod der beiden Politiker Entsetzen und eine beträchtliche Ratlosigkeit ausgelöst. Einzig die Karlsruher Generalbundesanwältin hatte kühl reagiert, die Ermittlungen sofort an sich gezogen und mit der Bundeskanzlerin ausführlich telefoniert. Karlsruhe würde nun unverzüglich das Bundeskriminalamt mit den polizeilichen Ermittlungen beauftragen.
Während Innenminister Cromme gerade eben noch aus dem Kanzlerbüro mit Rumpfs Ehefrau Emma telefoniert und ihr sein Beileid ausgesprochen hatte, redete Kanzleramtschef Wilkens heftig auf Bundeskanzlerin Lydia Sprado ein, die mit leerem Blick auf ihre verknoteten Finger starrte. Ihr war klar, dass dieser Verlust dramatische Auswirkungen auf ihr Projekt Trias haben konnte, welches der ermordete Staatssekretär zur Unterschriftsreife hatte treiben sollen.
Das rote Telefon klingelte.
Sie hob ab. »Ja?« Als sie kurz darauf weitersprach, wechselte sie ins Russische. »Dobri den, Sergej Iwanowitsch. Ich weiß, dass wir kurz vor dem G8-Gipfel stehen. Das ist ein Horrorszenario , völlig klar. Aber so etwas haben ja auch nicht einmal Sie erwartet, oder?« Angespannt lauschte sie in den Hörer. Ihre Hände umkrampften das Telefon, sahen seltsam blutleer aus. Dann sagte sie heiser: »Ich empfehle abzuwarten, was die Ermittlungen ergeben. Vielleicht hat das eine mit dem anderen gar nichts zu tun, und Trias …«
Sie schwieg kurz, ließ die andere Seite ausreden. Dann antwortete sie mit schneidender Stimme: »Danke für den Hinweis. Es ist wohl klar, dass wir uns eng bei dem abstimmen, was an die Öffentlichkeit geht. Wir kennen unsere Pflichten.« Ihre Augen leuchteten jetzt wie gefrorenes Wasser.
Russlands Präsident hatte offenbar viel zu sagen, denn sie schwieg eine Weile. Langsam tauten ihre Augen wieder auf. »Sie meinen wirklich, Kiew könnte
Weitere Kostenlose Bücher