Trias
Innern Wortfetzen erhitzter Diskussionen nach draußen. Die zehn Männer und Frauen, die hier jedes noch so kleine Detail aus dem Arbeitsleben Stefan Rumpfs zusammentrugen, waren an einem Punkt angelangt, an dem die Öffentlichkeit besser nicht zugegen war. Der Stuhl von Botschaftsrätin Emma Rumpf war am Morgen leer geblieben. Man hatte ihr freigestellt, ob sie kommen oder den Verlust erst einmal verarbeiten wollte. Vor Außenminister Henrik Kohlhoff stapelten sich Aktenordner, in denen bis zum kleinsten Notizzettel die Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses zu fragwürdigen Visa-Vergaben an Osteuropäer abgelegt waren.
Kohlhoff war ein ansehnlicher, mittelgroß gewachsener Mann mit breiten Schultern und Haaren in der Farbe von Teer. Sie waren so präzise gescheitelt, als schlafe er nur im Stehen.
Der Außenminister, der über Rumpf viel mehr wusste als die anderen Anwesenden im Raum, verfolgte eine genaue, mit der Kanzlerin abgestimmte Strategie. Dazu gehörte auch sein rüder Ton. Er würde nicht zulassen, dass die anwesenden Krisenanalytiker ihren Fantasien zu sehr freien Lauf ließen.
Jetzt meldete sich eine Frau mit hennarot gefärbten Haaren zu Wort. »Herr Minister, es scheint, dass Stefan Rumpf zwei Dinge erreicht hat: Einer Ihrer Vorgänger musste vor einem unangenehmen Ausschuss aussagen, woraufhin seine Umfrageergebnisse dramatisch einbrachen. Unsere progressive Visa-Politik wurde in den Dreck gezogen …« Sie warf kämpferisch ihr Haar zurück.
»Lassen wir doch die Kirche im Dorf und Ideologie beiseite«, dröhnte Kohlhoffs Bass in den Raum. »Stefan Rumpf hat seine Pflicht getan und dafür gesorgt, dass die Konsulate in Kiew, Minsk, Moskau, Bukarest und Sofia ihre Bauchläden für windige Visa-Anträge geschlossen haben. Und meinen Sie wirklich, verehrte Frau Kollegin, dass Rumpf aus politischen Motiven gemeinsame Sache mit dem damaligen Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses gemacht hat? Meines Wissens gehört er der CDU gar nicht mehr an. Wollen Sie einen Toten belasten und Ihre eigenen Fehler nachträglich damit rechtfertigen? Sollten wir nicht eher gemeinsam nach Hinweisen auf ein Motiv für dieses furchtbare Verbrechen suchen?«
Lauernd betrachtete er die Frau. Die grüne Politikerin mit der Haarfarbe eines Feuerlöschers war unfreiwillig aus dem Bundestag ins Auswärtige Amt gewechselt und ausgerechnet im Referat »Osteuropa« gelandet. Die Wahlen zum Deutschen Bundestag hatten sie, auch aufgrund der Visa-Affäre, vor sechs Jahren das Mandat gekostet. Seither waren die Grünen nie wieder in die Regierung gekommen.
»Ich denke auch«, gab sie klein bei, »dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für einen Disput darüber ist, wer in welcher Weise für was verantwortlich zu machen ist. Bleiben wir also bei den Tatsachen von heute. Ihnen zufolge könnten Außenstehende vermuten, dass erst durch Rumpf die Affäre ins Rollen kam, die schlussendlich die Schotten im Osten dicht gemacht hat. Ich erinnere an die Tausende von Drohbriefen, die uns aus Minsk und Kiew erreichten. Sind sie jemals vom BND ausgewertet worden? Könnten wir es mit gewaltbereiten Osteuropäern zu tun haben?« Sie kaute auf ihrem Stift.
»Genau das bitte ich Sie herauszufinden.« Kohlhoff griff so behände nach der Kaffeekanne wie ein Börsianer nach dem Verkaufen-Telefon. Seine geteerten Haare bewegten sich dabei nicht einen Millimeter. Diese Wendung passte ihm gut ins Konzept.
»Wir halten fest«, sagte er souverän in die Runde, »solange der Generalbundesanwalt die Ermittlungen noch nicht offiziell an eine Behörde vergeben hat, erhält er die vor mir liegenden Akten in Gänze. Ich schließe die Sitzung.«
Etwa dreißig Minuten später, als der Saal leer und die Monitore abgeschaltet waren, öffnete eine zierliche Frau mit brünetten Haaren die Tür zum Saal des Krisenstabs. Emma Rumpf setzte sich auf den leer gebliebenen Stuhl und starrte auf den Tisch, an dem bis eben noch Außenminister Kohlhoff die Sitzung geleitet hatte. Sein Ledersessel warf eine Unmenge Falten; auf der Tischplatte stand die Kaffeekanne in einem See aus brauner Brühe. Die Witwe strich sich das braune Haar aus der Stirn, entnahm ihrer Aktentasche ein Etui mit einem Spiegel und sah sich ins Gesicht. Strenger als sonst wirkten die Linien um ihren Mund. Sie lächelte sich zu, doch der Spiegel zeigte ihr unbarmherzig die Furchen der letzten schmerzvollen Stunden.
Emma Rumpf verließ mit schleppenden Schritten den Raum.
9
Berlin-Mitte,
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