Trias
Tag zum Dienst erschienen. Trotz mehrfacher Versuche seines Vorgesetzten Hess, ihn in seinem Berliner Apartment oder der Münchner Privatwohnung aufzuspüren, blieb die Suche nach dem Agenten erfolglos. Der BND-Referatsleiter war über das spurlose Verschwinden Strachows so erregt, dass er die Türen seiner Abteilung mit Fußtritten malträtierte. Den im Affekt angedrohten Entlassungsbrief hatte er bereits diktiert. Er schrieb darin an den Chef des Bundesnachrichtendienstes, Rubens:
»Einer meiner Mitarbeiter, der BND-Beamte Hans Strachow, verstieß in den letzten Wochen mehrfach gegen die ureigensten Sicherheitsinteressen der Behörde und riskierte damit eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Strachow ist als gefährlich einzustufen und nicht mehr in der Lage, derart verantwortungsvolle Aufgaben wie die eines Geheimdienstmitarbeiters wahrzunehmen. Deshalb bitte ich mindest um eine Versetzung in einen nichtsicherheitsrelevanten Bereich, wenn nicht gar um seine unehrenhafte Entlassung aus dem Dienst.«
Nach seinem Diktat verließ Paul Hess die BND-Zentrale und nahm die Abendmaschine nach München, um in der Außenstelle des BND in München-Pullach an einer Lagebesprechung teilzunehmen.
Doch auch innerhalb der Spitzelbehörde funktionierte die stille Post. Gut informiert ist, der gut informiert wird. Gerade in der Welt der Geheimdienste konnte einem diese Binsenweisheit helfen, die eigene Karriere und das Leben zu verlängern.
Über einen Duzfreund und ehemaligen Agenten seiner Abteilung, der als persönlicher Referent in die Führungsspitze zu BND-Chef Rubens gewechselt war, erfuhr Strachow nur Minuten später vom Inhalt des Briefes.
Als ihm der Absender den Wortlaut mittels codierter Kurzmitteilung aus Zahlen und Buchstaben übersandt hatte, breitete sich Bitterkeit und Wut in Strachow aus. War er bis zu diesem Zeitpunkt noch willens, den Auftrag der Chinesen mit Hess gemeinsam zu beenden, wollte er jetzt nur noch Sühne. Sühne für die Schmerzen, die ihm Hess im Keller der Dokumentationsabteilung mit einem Stahlseil zugefügt hatte. Sühne für die vielen Momente, in denen Hess mit gebellten Befehlen die Abteilung terrorisiert und geknechtet hatte. Und dann diese Versagensgefühle, die er spürte: Er machte Hess für die letzten Wochen verantwortlich, in denen er, Strachow, sich wie ein Amateur fühlte, der versuchte, ein bisschen Krieg zu spielen.
Strachow beschloss, Hess eine letzte Chance zu geben oder ihn aus dem Weg zu räumen. Sein Vorhaben entsprang jenem Geheimdienst-Credo, das man ihm während seiner Ausbildung mit auf den Weg gegeben hatte. Moral und Gewissen, hatte er gelernt, waren zwei Tugenden, die bei einem Geheimdienstmitarbeiter oftmals sehr unscharf blieben. Auch Strachow fragte sich bei seinen Einsätzen oft, ob sein Auftrag eigentlich mit seinem ganz persönlichen »Bauplan« zusammenpasste.
Andererseits durfte man nicht zu zimperlich sein; man musste immer damit rechnen, dass der Gegner noch abgebrühter war als man selbst. Hess war solch ein Gegner. Sein Vorgesetzter war ihm, seinem einstmals engsten Vertrauten, gefährlich nahegekommen, war vom Freund zum Feind geworden. Wenn er jetzt nicht handelte, würde Hess siegen, davon war er überzeugt.
Während Hess glaubte, Strachow sei in Berlin, aber verweigere seinen Dienst, war sein Agent längst in München. Sein dortiges Apartment stammte noch aus der Zeit, als der BND im beschaulichen Pullach residierte. Die Sprengstoffpakete hatte er in seiner Garage in ein altersschwaches Regal eines schwedischen Massenmöbelherstellers einsortiert und mit einer Lastwagenplane abgedeckt.
Seine Beobachter warteten auf einen Moment, der ihnen nicht nur Strachow lieferte, sondern sie auch dorthin führte, wofür der Sprengstoff bestimmt war.
Teil 4
KAMPF
1
München-Pullach, Außenstelle des BND, 12. Dezember, 17:35 Uhr
Feierabend. Paul Hess wuchtete seinen Leib aus dem Schreibtischsessel und polterte aus seinem Büro. Er war müde und hungrig, schob immer noch Hass auf seinen Agenten Hans Strachow und wollte nach Hause. Als er sein Büro verließ, nahm er den Lift in die Tiefgarage, steuerte seinen Dienstwagen aus der Tiefe, stoppte kurz an der Schranke, zeigte seinen Ausweis und bog auf einen schmalen Asphaltweg ein, der die Behörde mit einer vierspurigen Ausfallstraße verband. Sie führte bis in die Innenstadt von München und wurde nur einmal von den Schienen eines S-Bahn-Übergangs zerschnitten. Hess nahm seinen
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