Trias
stieg eine Treppe hinab. Ihre letzte Stufe endete vor der Tür seiner Tiefgarage. Er entriegelte sie, drückte auf den Impulsgeber seines Schlüsselanhängers, worauf die Blinker seines Autos dreimal grüßten. Schatten von Regalen und darin gestapelten Kleinteilen zuckten an den Wänden auf. Hess pfiff das Refrainmotiv des Beatles-Songs When I’m 64 .
Er öffnete die hintere Wagentür und klappte den abgeschabten Kindersitz seines jüngsten, aber mittlerweile schon halbwüchsigen Sohnes aus der Verankerung - für Hess die letzte Erinnerung an den Nachwuchs, heute als Taschenhalter in Gebrauch. Er hob ihn hinaus - und hörte plötzlich ein schurrendes Geräusch. Er spitzte die Ohren. Stille. Beide Hände am Kindersitz, machte er vom Wagen weg einen Schritt rückwärts und stieß mit den Ellenbogen an etwas Hartes, das aber auch weich war und jetzt sogar hörbar atmete. Vor Schreck unfähig, sich zu bewegen, und gleichzeitig vom Kindersitz behindert, blieb Hess schweigend stehen. Sein Herz begann unregelmäßiger zu schlagen. Er sah so angestrengt in die Dunkelheit wie ein Mensch, der von einem Moment zum anderen erblindet war.
Hess wusste genau, wo der Hammer lag, mit dem er sich wehren konnte; an welcher Wand der Spaten und die Axt hingen und in welcher Schublade eine alte, aber geladene 45er Walther nur noch entsichert zu werden brauchte. Aber vor ihm stand breit und mächtig sein Wagen, hinter ihm ein Unbekannter, der ihm seinen Atem in den Nacken blies. Er spannte die Muskeln an. Wieder strich ein Hauch, so leicht wie ein Windzug an einem fast windstillen Tag, an seinen Nackenhaaren entlang. Hess erschauerte. Er ließ den Kindersitz fallen und schnellte herum, doch da spürte er bereits, wie sich die rissigen Fasern eines Stricks um seinen Hals legten. Sein Gegner sprang flink zur Seite und zog das Seil mit einem Ruck zusammen. Hess traten die Augen aus den Höhlen, Kehlkopf samt Stimmbändern und Sehnen drückten seine Luftröhre zu. Er zerrte an dem Strick, trat nach hinten, schlug mit den Armen um sich. Langsam wichen die Kräfte, die seinen massigen Leib aufrecht hielten. Er rang nach Luft, spürte, wie seine Knie immer weicher, sein Schweiß immer heißer wurden. Die Situation überforderte und lähmte ihn. Sein Gewicht und sein Asthma, die Atemnot und die Sauerstoffschwäche seiner Muskeln brachten ihn langsam um. Er sackte lautlos, aber noch lebend zu Boden.
Sein Angreifer knotete das straffe Seil mehrmals zusammen und zog den wehrlosen BND-Agenten durch den Dreck des Garagenbodens zur Tür, durch die Hess vor einigen Minuten noch fröhlich pfeifend hereingekommen war.
Als Hess seinem Mörder endlich ins Gesicht sehen konnte, lag er bereits im Sterben. Der BND-Referatsleiter für Terrorabwehr Osteuropa erstickte, während ein Mann mit roten Haaren und den Augen eines Chinesen auf ihn heruntersah. Alister Hu McCann zog den Sterbenden endgültig unter die Treppe des Kellers, faltete eine darunter befindliche Autoplane auseinander und deckte sie wie ein Totentuch über den Leichnam.
Der Agent verließ die Garage auf dem gleichen Weg, den er auch gekommen war: durch die Eingangstür. Er machte sich nicht mehr die Mühe, sie zu schließen. Sein Spezialwerkzeug hatte er wieder behutsam in seinem Rucksack verstaut.
McCann setzte eine Sonnenbrille auf, drückte den falschen Schnurrbart fest unter die Nase und zog sich eine Mütze tief in die Stirn. Während er mit gemächlichen Schritten zur nahe gelegenen vierspurigen Hauptstraße spazierte, schaukelten hinter ein paar Fenstern Gardinen verräterisch. Er rief nach einem Taxi, das ihn direkt in die Münchner Innenstadt fuhr.
Der Fahrer sprach kein Englisch, dafür aber einen für McCann unverständlichen bayerischen Dialekt. Der chinesische Agent schrieb ihm die Adresse auf ein Blatt Papier, das er aus seinem Kalender riss. Während der Fahrt beobachtete der Taxichauffeur seinen Fahrgast verstohlen im Rückspiegel. Es kam nicht oft vor, dass ein Asiate im Millionärsvorort Grünwald nach einem Taxi rief. Und wenn doch, dann sprachen sie wenigstens ein paar Brocken Deutsch, riefen einen direkt vors Haus und standen nicht am Rand einer ungemütlichen Ausfallstraße.
2
München-Innenstadt, vierzig Minuten später
McCann war ganz in Gedanken versunken. Hess umzubringen war Ling Yus letzter Auftrag an ihn gewesen. Die Chinesen hatten neben dem Marokkaner Saanigri auch den BND-Beamten Paul Hess beschuldigt, den Verlust des wertvollen Sprengstoffkonvois durch
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