Tribunal
wissen, war Löffke nach dem Kurzschluss die ganze Zeit bei mir.«
»Ich spare mir die Frage«, antwortete Stephan lakonisch. »Ich weiß, dass Löffke blind Ihre Version bestätigen wird. Sie sind ja schließlich Freunde.«
»Sie gehen ziemlich weit, Herr Knobel.« Frodeleits Stimme war schärfer geworden. »Warum meinen Sie, unterlässt es die Polizei, sich mit dieser hochinteressanten Frage zu beschäftigen, Herr Knobel? Warum lässt sie es bei dem Zufall bewenden? Nun?«
»Sie werden es mir sagen.«
»Wenn es so wäre, wie Sie vermuten, dann gälte doch nach wie vor, dass dieser Kurzschluss uns alle befreit hat. Sie säßen womöglich noch immer in diesem Loch, wenn uns nicht dieser Zufall zur Hilfe gekommen wäre. Wenn es jetzt sogar so sein soll, dass ich den Kurzschluss herbeigeführt habe, dann sollten Sie mir also dankbar sein. Und ich denke, der Polizei ist es deshalb auch völlig egal, warum die Stromversorgung ausgefallen ist. Das war der Anfang vom Ende unserer Haft, Herr Knobel! Wir waren die Opfer dieses Verrückten und nicht die Täter.«
»Aber meine Variante erklärt Ihr nachfolgendes Verhalten, Herr Frodeleit.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie sind nach Ihrer Pause bis zur Stollentür zurückgekommen und haben dort gewartet. Sie haben nichts oder jedenfalls nichts Wesentliches gesagt. Unterstellt, Sie wussten, dass in Kürze der Strom ausfallen würde, macht das Sinn. Sie konnten uns nicht darauf vorbereiten, denn die Mikrofone waren zu dieser Zeit ja noch intakt. Folgerichtig hatten Sie auch nicht bereits die Taschenlampe in der Hand. Es durfte nicht danach aussehen, als würden Sie damit rechnen, dass jeden Moment der Strom ausfällt. Plötzlich wurde es dunkel. Ihre Frau bekam einen Schreikrampf. Marie war es schließlich, die bemerkte, dass auch die Lichtschranken ausgefallen waren.«
»Ja, und?« Frodeleit grinste triumphierend. »Wenn es so wäre, wie Sie behaupten, Herr Knobel: Wie konnte ich wissen, dass mit dem Kurzschluss tatsächlich alles ausfällt? Es war doch viel wahrscheinlicher, dass dieser verrückte Bastler seine elektrische Anlage gesichert hat. Es war doch für uns alle nur ein Glücksfall, dass dann wirklich alles ausfiel.«
»Geschenkt, Herr Frodeleit! Das war, wie ich meine, der einzige wirkliche Zufall. Sie konnten nicht kalkulieren, dass tatsächlich alle elektrischen Installationen ausfallen. Sie mussten abwarten, ob es klappt. Aber die Frage ist doch, warum Sie Ihr Tun immer noch nicht aufdeckten, als klar war, dass Sie tatsächlich Bromscheidts elektrische Anlagen lahmgelegt hatten und für alle die Gelegenheit bestand zu flüchten?«
»Ich höre Ihnen zu, Herr Rechtsanwalt.«
»Sie mussten die Ursache des Stromausfalls im Dunkeln lassen, weil nur so offenbleiben konnte, ob es ein technischer Defekt oder vielleicht doch ein Trick von Büllesbach war. Nur so konnten Sie Löffke gewinnen, mit Ihnen nach ihm zu suchen. Und das war das Wichtigste überhaupt: Sie benötigten jemand als Zeugen, als Sie sich Büllesbach zur Brust nahmen. Mindestens das. Vielleicht brauchten Sie auch einen Mittäter. Denn dass Büllesbach mit seinem Wissen für Ihre Karriere eine Gefahr war, war nur allzu deutlich.«
»Jetzt gehen Sie zu weit, Herr Knobel«, bellte Frodeleit.
»Wir sind unter uns, Herr Frodeleit.«
»Meine Urteile halten jeder Überprüfung stand. Man hat sogar im Laufe der Ermittlungen mein Urteil gegen Büllesbach unter die Lupe genommen. Es ist nicht nur formal unanfechtbar, man hält es auch juristisch in vollem Umfang für vertretbar. Ich sagte doch bereits, dass ich den Strafrahmen eingehalten habe. Es ist doch meine Angelegenheit, wie ich das Vergehen sanktioniere. Hart, aber gerecht, das ist mein Ruf, und ich genieße ihn.«
Frodeleit hatte sich aufgerichtet und die Arme verschränkt. Stephan spürte, dass er sich seiner Sache immer sicherer wurde.
»In Anwaltskreisen heißen Sie Richter Gnadenlos, das ist etwas anderes.«
»Ich weiß.« Frodeleit grinste breit. »Und ich sage Ihnen, dass ich stolz auf diesen Ruf bin.«
»Wussten Sie, dass Büllesbach früher ein Dauerticket der Verkehrsbetriebe hatte, bevor er vom Kontrolleur erwischt wurde? Gerade vor diesem Hintergrund kann man ihm eher glauben, das Lösen einer Fahrkarte bloß vergessen zu haben: Er war es nicht mehr gewohnt, eine Fahrkarte zu kaufen.«
»Natürlich kann man glauben, Herr Knobel! Aber ich glaube ihm nicht. Er ist zweimal ertappt worden. Einmal ist keinmal, zweimal ist einmal zu
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