Tribunal
Spaziergang im Wald ließ die Sinne tanzen. Die Kanzlei war weit und überflüssig.
Als sie abends wieder bei Marie waren, schliefen sie miteinander. Sie tranken von dem von allen Sinnesempfindungen erfüllten Tag.
Am nächsten Morgen wollte Marie Stephan den Brief der Bezirksregierung zeigen. Doch sie fand ihn nicht.
»Du wirst ihn in deiner Freude verlegt haben«, vermutete Stephan.
Marie suchte auf dem Schreibtisch, unter und zwischen den Büchern und Schreibblöcken, die dort lagen. Sie schichtete um, blätterte nochmals durch ihre Bücher, durchwühlte die Regale und zuletzt sogar den Papierkorb. Der Brief blieb verschwunden.
»Fordere ihn einfach noch mal in Arnsberg an«, schlug Stephan vor.
14.
Marie traf Dörthe scheinbar zufällig im Supermarkt in Kirchhörde. Dörthe stand an der Gemüsetheke und wog Tomaten in der Bio-Ecke ab. Marie tippte ihr von hinten auf die Schulter.
»Sie hier?«, wunderte sich Dörthe.
»Ich habe an der Schule hier ein Vorstellungsgespräch«, log Marie. »Meistens fragt man ja nur floskelhaft, wie es dem anderen geht. Aber ich meine es ehrlich: Wie haben Sie unsere Geschichte verkraftet? Geht es Ihnen gut?«
Dörthe schüttelte den Kopf. »Das kann man nicht sagen. Der Kontakt zu den Frodeleits ist abgebrochen. Wenn wir die beiden zufällig im Golfklub sehen, gehen wir uns aus dem Weg. Hubert macht sich Vorwürfe. Er ist ungewöhnlich still in letzter Zeit. Ich würde sogar sagen, er zieht sich in sich zurück.«
»Gestern hat er aber in der Kanzlei noch ausgiebig gefeiert«, hielt Marie dagegen.
Dörthe nickte. »Ja, er war reichlich beschwipst, als er gestern Abend nach Hause kam. Aber glauben Sie mir: Das ist derzeit die absolute Ausnahme. Ich gönne ihm so etwas. – Wissen Sie: Hubert ist nicht übel. Ich weiß, dass Sie ihn nicht mögen. Aber er hat seine guten Seiten. Sie können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, dass er mir regelmäßig Rosen schenkt. Wirklich! Und er dichtet dazu so nett.«
Marie lächelte. »Na ja, ich weiß nicht …«, fügte sie hinzu.
Dörthe sah sie irritiert an.
»Entschuldigung!« Marie errötete. Es stand ihr wirklich nicht zu, Hubert Löffke zu kritisieren. Dörthe gefielen sie und Marie spürte, dass der grobschlächtige Löffke auf seine Art innerlich mit Dörthe, und sie mit ihm, verbunden war. Es war schäbig, sich darüber lustig zu machen.
»Es tut mir leid«, bekräftigte sie. »Ich würde mich freuen, wenn ich regelmäßig Rosen bekäme.«
»Ach, tut das der Herr Knobel nicht?« Dörthe wirkte eigenartig beglückt. »Das hätte ich aber erwartet«, sagte sie und ihre roten Backen glänzten. »Die Schönheit dieser Rose wird vergehen, meine Liebe zu dir bestehen«, zitierte sie spitz Huberts letzten Vers.
»Wirklich schön!«, nickte Marie und erglühte erneut.
Dörthe sah sie stolz und angriffslustig an. Sie könnte Marie mit Liebesreimen peitschen. Marie spürte es.
15.
Der Anruf der Bezirksregierung kam am frühen Nachmittag. Es habe keinen Brief der Behörde an Marie Schwarz gegeben. Es müsse sich um einen Irrtum gehandelt haben.
»Aber ich habe den Brief in den Händen gehalten«, widersprach Marie. »Es war ein amtliches Schreiben mit Dienstwappen und so.«
»Und so?«, fragte die Stimme aus dem Hörer. »Sie können mir gewiss das Aktenzeichen sagen«, fügte sie freundlich an.
»Nein, leider nicht.«
»Na, sehen Sie«, beruhigte die Stimme. »Da haben Sie bestimmt etwas verwechselt.«
»Nein!«
»Doch, Frau Schwarz! Glauben Sie mir: Von hier ist nichts geschickt worden. Ich habe doch gar keinen Grund, Ihnen etwas Falsches zu sagen. – Darf ich die Sache also als erledigt betrachten?«
»Ja!«, antwortete Marie matt. Sie wagte nicht, Stephan anzurufen. Als er abends ihre Wohnung aufschloss, lag Marie erschöpft auf dem Sofa.
»Ich habe es mir nicht eingebildet«, bekräftigte sie, als sie ihm alles erzählt hatte.
»Natürlich nicht«, antwortete er. »Warum solltest du auch?«
»Warum solltest du auch!«, wiederholte sie gereizt.
»Schon die Frage zeigt, dass du zweifelst. Du suchst nach Gründen, warum ich nicht vielleicht doch etwas erfinden könnte.«
»Aber du hast doch gar keinen Grund«, beruhigte er.
»Es war jemand in der Wohnung, als wir spazieren gegangen sind. Es kann nicht anders sein, denn vor meinem Weggehen habe ich den Brief noch gesehen. Und ich bin mir ganz sicher, dass er mitten auf dem Schreibtisch lag. Ich wollte ihn dir zeigen, sobald wir zurück waren.«
»Aber du
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