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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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wie früher. Vor einigen Jahren hat sie die Hedda Gabler gespielt. Das einhellige Echo lautete, dass das Stück unerfreulich war, aber dass sie die Hedda hervorragend gespielt hat. Bewunderswert, besonders, weil Heddas Charakter – so die Meinung der Leute – in solchem Gegensatz zu ihrem eigenen im wirklichen Leben steht.
    Inzwischen gibt es hier etliche Leute, die nach Stratford fahren. Sie hingegen fährt nach Niagaraon-the-Lake, um sich dort die Stücke anzusehen.
    *
    Robin bemerkt die drei Betten, die entlang der gegenüberliegenden Wand aufgestellt sind.
    »Was ist los?«, fragt sie Coral, die Schwester am Tresen.
    »Kurzzeitig«, sagt Coral mit Zweifeln in der Stimme. »Die Umverteilung.«
    Robin geht ihren Mantel und ihre Tasche in dem Schrank hinter dem Tresen aufhängen, und Coral erzählt ihr, dass diese Fälle aus dem Landkreis Perth kommen. Eine Verlegung wegen der Überfüllung dort, sagt sie. Nur hat jemand etwas durcheinandergebracht, und das hiesige Pflegeheim kann sie noch gar nicht aufnehmen, also ist entschieden worden, sie erst einmal hier unterzubringen.
    »Soll ich hingehen und ihnen Guten Tag sagen?«
    »Musst du wissen. Als ich vorhin nach ihnen geschaut habe, waren alle weggetreten.«
    Die Gitter der drei Betten sind hochgeklappt, die Patienten liegen flach auf dem Rücken. Und Coral hatte recht, sie scheinen alle zu schlafen. Zwei alte Frauen und ein alter Mann. Robin wendet sich ab, dann dreht sie sich wieder zu ihnen um. Sie steht da und blickt auf den alten Mann hinunter. Sein Mund steht offen, und sein Gebiss, falls er eins besitzt, ist entfernt worden. Er hat immer noch Haare auf dem Kopf, weiß und sehr kurz geschnitten. Geschwundenes Fleisch, eingesunkene Wangen, aber immer noch breit an den Schläfen, ein Gesicht, das sich einen gewissen Ausdruck von Autorität und – ganz so, wie sie es zuletzt sah – von Bestürzung bewahrt hat. Flecke mit schrumpeliger, bleicher, fast silbriger Haut, wo wahrscheinlich Hautkrebs entfernt worden ist. Der Körper verfallen, die Beine zeichnen sich unter der Decke kaum ab, aber Brust und Schultern haben immer noch eine gewisse Breite, ganz wie in ihrer Erinnerung.
    Sie liest das Schildchen, das am Fuß seines Bettes angebracht ist.
    Alexander Adžić
.
    Danilo. Daniel.
    Vielleicht ist das sein zweiter Name. Alexander. Oder er hat gelogen, hat sicherheitshalber eine ganze oder eine halbe Lüge erzählt, von Anfang an und fast bis zum Ende.
    Sie geht wieder zum Tresen und wendet sich an Coral.
    »Irgendwas über den Mann bekannt?«
    »Wieso? Kennst du ihn?«
    »Könnte sein.«
    »Ich schau mal nach, was wir haben. Ich kann's aufrufen.«
    »Keine Eile«, sagt Robin. »Nur, wenn du Zeit hast. Ist bloß Neugier. Ich gehe jetzt besser und besuche meine Leute.«
    Es ist Robins Aufgabe, zweimal in der Woche mit den Patienten zu reden, Berichte über sie zu schreiben, wie weit ihre Wahnvorstellungen oder Depressionen nachgelassen haben, ob die Medikamente wirken und wie die Besuche ihrer Verwandten oder Lebenspartner ihre Stimmung beeinflusst haben. Sie arbeitet seit vielen Jahren auf dieser Etage, seit man in den siebziger Jahren dahin zurückkehrte, Psychiatriepatienten in der Nähe ihres Zuhauses unterzubringen, und sie kennt viele der Leute, die immer wieder eingeliefert werden. Sie hat Kurse absolviert, um sich für die Behandlung psychisch Kranker zu qualifizieren, aber es ist etwas, wofür sie ohnehin eine Einfühlungsgabe mitbringt. Einige Zeit, nachdem sie aus Stratford zurückgekommen war und
Wie es euch gefällt
nicht gesehen hatte, begann sie, sich zu dieser Arbeit hingezogen zu fühlen. Etwas – wenn auch nicht das von ihr Erwartete –
hatte
ihr Leben verändert.
    Sie hebt sich Mr. Wray bis zuletzt auf, denn in der Regel beansprucht er den größten Teil ihrer Zeit. Sie ist nicht immer in der Lage, ihm so viel Zeit zu widmen, wie sie gern möchte – das hängt von den Problemen der anderen ab. Heute befinden sich die meisten dank ihrer Tabletten auf dem Wege der Besserung, und sie tun nichts weiter, als sich dafür zu entschuldigen, was für Umstände sie gemacht haben. Aber Mr. Wray, der glaubt, dass seine Beiträge zur Entdeckung der DNA nie anerkannt oder gewürdigt worden sind, ist am Platzen wegen eines Briefes an James Watson. An Jim, wie er ihn nennt.
    »Dieser Brief, den ich Jim geschickt habe«, sagt er. »Ich bin klug genug, keinen solchen Brief abzuschicken, ohne eine Kopie zu behalten. Aber gestern bin ich meine Akten

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