Tricks
meisten Frauen tragen ihre Winteruniform aus Trainingshose und Skijacke.
Nicht so Robin. Als sie aus dem Fahrstuhl steigt, um sich in den dritten und obersten Stock des Krankenhauses zu begeben, trägt sie einen langen schwarzen Mantel, einen grauen Wollrock und eine fliedergraue Seidenbluse. Ihr kräftiges, glattes, holzkohlegraues Haar ist schulterlang geschnitten, und sie trägt winzige Diamanten in den Ohren. (Es fällt immer noch auf, genau wie früher, dass diejenigen Frauen, die nicht geheiratet haben, zu den am besten aussehenden und am besten gekleideten in der Stadt gehören.) Sie braucht sich jetzt nicht mehr wie eine Krankenschwester anzuziehen, denn sie hat eine Teilzeitstelle und arbeitet nur auf dieser Etage.
Man kann mit dem Fahrstuhl ganz normal in den dritten Stock fahren, aber es ist nicht ganz so einfach, wieder hinunterzugelangen. Die Schwester hinter dem Tresen muss auf einen verborgenen Knopf drücken, damit man hinauskommt. Dies ist die Psychiatrische Abteilung, auch wenn sie selten so genannt wird. Sie blickt nach Westen auf den See, genau wie Robins Wohnung, und wird deshalb oft Sunset Hotel genannt. Und einige ältere Leute bezeichnen sie als das Royal York. Die Patienten sind nur für einen kurzen Zeitraum dort, obwohl bei einigen von ihnen diese kurzen Zeiträume immer wieder vorkommen. Jene, deren Wahnvorstellungen oder Ausfallerscheinungen oder Depressionen dauerhaft werden, müssen anderswo untergebracht werden, in der Landesanstalt, die offiziell Langzeitpflegeeinrichtung heißt, gleich draußen vor der Stadt.
In vierzig Jahren ist die Stadt nicht sehr gewachsen, aber sie hat sich verändert. Es gibt zwei Einkaufszentren, obwohl die Geschäfte am Marktplatz den Existenzkampf fortsetzen. Es gibt neue Häuser – für Leute ohne Kinder – draußen auf den Steilklippen, und zwei der großen alten Villen mit Blick auf den See sind in Wohnungen aufgeteilt worden. Robin hat das Glück gehabt, eine davon zu ergattern. Das Haus in der Isaac Street, in dem sie und Joanne früher wohnten, ist mit Vinyl aufgemöbelt worden und beherbergt jetzt das Büro eines Immobilienmaklers. Willards Haus ist mehr oder weniger immer noch so, wie es war. Er hat vor ein paar Jahren einen Schlaganfall gehabt, aber sich ganz gut davon erholt, obwohl er an zwei Krücken gehen muss. Als er im Krankenhaus lag, sah Robin ihn öfter. Er redete davon, was für gute Nachbarn sie und Joanne einmal waren und welchen Spaß sie miteinander beim Kartenspiel hatten.
Joanne ist seit achtzehn Jahren tot, und nachdem Robin das Haus verkauft hatte, zog sie sich aus ihrer alten Umgebung zurück. Sie geht nicht mehr in die Kirche, und bis auf jene, die Patienten im Krankenhaus werden, sieht sie kaum noch die Leute, die sie kannte, als sie jung war, die Leute, mit denen sie zur Schule gegangen ist.
Heiratschancen haben sich ihr trotz ihres Alters wieder eröffnet, wenn auch in begrenztem Umfang. Es gibt Witwer, die sich umschauen, Männer, die sich selbst überlassen sind. Zumeist wollen sie eine eheerfahrene Frau – obwohl eine gute Stellung auch nicht zu verachten ist. Aber Robin hat klargestellt, dass sie daran nicht interessiert ist. Die Leute, die sie seit ihrer Jugend kennt, sagen, dass sie nie daran interessiert war, dass sie eben so ist. Einige der Leute, die sie jetzt kennt, meinen, dass sie lesbisch sein muss, aber in einer so primitiven und engstirnigen Umgebung aufgewachsen ist, dass sie es nicht zugeben kann.
Es wohnen jetzt andere Leute in der Stadt, und das sind die Leute, mit denen sie sich angefreundet hat. Einige davon leben zusammen, ohne verheiratet zu sein. Einige davon sind in Indien und Ägypten und auf den Philippinen und in Korea zur Welt gekommen. Die alten Lebensmuster, die Regeln früherer Zeiten, haben immer noch eine gewisse Gültigkeit, aber viele Leute gehen ihren eigenen Weg, ohne überhaupt etwas davon zu wissen. Man kann fast alle Sorten von Nahrungsmitteln kaufen, wenn man möchte, und an einem schönen Sonntagmorgen kann man an einem Tisch auf dem Bürgersteig sitzen, Kaffee in allen möglichen Varianten trinken und das Läuten der Kirchenglocken genießen, ohne dabei an den Gottesdienst zu denken. Der Strand ist nicht mehr von Eisenbahnschuppen und Lagerhäusern umgeben – man kann auf einem Bretterweg eine Meile weit am See entlanggehen. Es gibt einen Chorverein und einen Theaterverein. Robin ist in dem Theaterverein immer noch sehr aktiv, wenn auch auf der Bühne nicht mehr so viel
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