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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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flammt wieder auf, und jene, die zum Narren gehalten worden sind, besitzen den Anstand, sich nicht zu beklagen.
    Er musste für eine Besorgung aus dem Haus gegangen sein. Nur kurz. Denn er konnte seinen Bruder nicht lange im Laden allein lassen. Vielleicht war die Fliegengittertür eingehakt – sie hatte überhaupt nicht versucht, sie aufzumachen. Vielleicht hatte er seinem Bruder eingeschärft, sie einzuhaken und nicht aufzumachen, während er mit Juno ums Karrée ging. Sie hatte sich gewundert, warum Juno nicht da war.
    Wenn sie ein bisschen später gekommen wäre. Ein bisschen früher. Wenn sie geblieben wäre, bis das Stück zu Ende war, oder gar nicht erst hingegangen wäre. Wenn sie sich nicht an ihren Haaren zu schaffen gemacht hätte.
    Und dann? Wie wären sie zurande gekommen, er mit Alexander und sie mit Joanne? Nach dem, wie Alexander sich an dem Tag verhalten hatte, sah es nicht so aus, als würde er sich mit irgendwelchen Eindringlingen oder irgendwelchen Veränderungen abfinden. Und Joanne hätte ganz bestimmt gelitten. Vielleicht weniger darunter, den taubstummen Alexander im Haus zu haben, als unter Robins Heirat mit einem Ausländer.
    Kaum zu glauben, wie das damals war.
    Alles an einem Tag zerstört, binnen weniger Minuten, nicht schrittweise, durch qualvolle Kämpfe, Hoffnungen und Enttäuschungen, in dem lang hingezogenen Prozess, durch den solche Dinge für gewöhnlich zerstört werden. Und wenn es stimmt, dass so etwas in aller Regel zerstört wird, ist dann der kurze Prozess nicht leichter zu ertragen?
    Aber diese Ansicht vertritt man nicht, wenn es um einen selbst geht. Robin jedenfalls nicht. Sogar jetzt noch passiert es ihr, dass sie sich nach dem entgangenen Leben sehnt. Sie wird kein Quäntchen Dankbarkeit für den Streich aufbringen, der ihr gespielt worden ist. Aber sie wird dahin gelangen, dankbar für die Aufdeckung zu sein. Wenigstens dafür – für die Aufdeckung, die alles heil lässt, bis zu dem Augenblick des tückischen Eingriffs. Die Empörung auslöst, aber von Ferne wärmt, von aller Scham befreit.
    *
    Gewiss hatten sie sich in einer anderen Welt befunden. Ähnlich einer Welt, wie sie auf der Bühne herbeigezaubert wird. Die ferne Verabredung, das Fest der Küsse, das tollkühne Vertrauen, dass alles wie geplant vonstatten gehen werde. Wenn man in solchen Fällen auch nur einen Zollbreit vom Wege abweicht, ist man verloren.
    Robin hat Patienten gehabt, die glaubten, dass Kämme und Zahnbürsten in der richtigen Anordnung liegen müssen, dass Schuhe in die richtige Richtung zeigen müssen, dass Schritte abgezählt werden müssen, oder es folgt irgendeine Strafe.
    Wenn sie in dieser Hinsicht versagt hat, dann in der Geschichte mit dem grünen Kleid. Wegen der Frau in der Reinigung, deren Kind krank war, trug sie das falsche grüne Kleid.
    Sie würde es gern jemandem erzählen können. Ihm.

Kräfte
    Gönne Dante eine Pause
    13 . März 1927 . Jetzt, wo wir eigentlich den Frühling zu Gesicht bekommen müssten, kriegen wir den Winter. Starke Schneestürme machen die Straßen unpassierbar, Schulen sind geschlossen. Und ein alter Mann, so wird erzählt, ist auf den Eisenbahngleisen spazieren gegangen und wahrscheinlich erfroren. Heute bin ich in meinen Schneeschuhen mitten auf dem Damm gelaufen, und im ganzen Schnee war nichts zu sehen außer meinen Stapfen. Und als ich vom Kaufmann zurückkam, hatten sich meine Stapfen schon völlig gefüllt. Das liegt daran, dass der See nicht wie sonst zugefroren ist, so nimmt der Wind aus West reichlich Feuchtigkeit mit und lädt sie auf uns als Schnee ab. Ich bin Kaffee und ein oder zwei Bedarfsartikel holen gegangen. Und beim Kaufmann treffe ich ausgerechnet Tessa Netterby, die ich seit über einem Jahr nicht mehr gesehen habe. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie nicht besucht habe, denn ich war immer bemüht, mit ihr befreundet zu bleiben, auch nachdem sie nicht mehr zur Schule gehen konnte. Ich glaube, ich war die Einzige, die das getan hat. Sie war ganz in ein großes Umschlagetuch eingemummelt und sah aus wie aus einem Märchen entsprungen. Unten viel schmaler als oben, denn sie hat ein sehr breites Gesicht mit einem Wust lockiger schwarzer Haare und richtig breite Schultern, obwohl sie nicht viel größer als eins fünfzig sein kann. Sie hat nur gelächelt, ganz die alte Tessa. Und ich habe sie gefragt, wie es ihr geht – das fragt man sie immer, wenn man sie sieht, ganz im Ernst, wegen ihrer langen Erkrankung an man weiß

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