Tricks
Zug begegneten und dasselbe Fahrtziel hatten, dann sollten sie sich bis zur Ankunft miteinander unterhalten.
»Meine Tochter holt mich ab«, sagte sie. »Wir können Sie mitnehmen, bis dahin, wo Sie hinwollen. Erst recht, wenn es regnet.«
Es regnete nicht, als sie in Stratford ankamen, die Sonne schien, und es war sehr heiß. Trotzdem sah Robin sich gezwungen, das Angebot anzunehmen. Sie landete auf dem Rücksitz zwischen zwei Kindern, die Eis am Stil schleckten. Es kam ihr wie ein Wunder vor, dass ihr nichts Apfelsinengelbes oder Erdbeerrotes aufs Kleid tropfte.
Sie schaffte es nicht, das Ende des Stückes abzuwarten. Sie fröstelte in dem klimatisierten Theater, denn das Kleid war aus sehr dünnem Stoff und hatte keine Ärmel. Oder vielleicht lag es auch an ihrer Nervosität. Unter Entschuldigungen bahnte sie sich einen Weg durch die Reihe, ging den Mittelgang mit seinen unregelmäßigen Stufen hoch und trat ins Tageslicht des Foyers. Es regnete wieder, es goss. Allein in der Damentoilette, derselben, in der sie ihre Handtasche verloren hatte, machte sie sich an ihrer Frisur zu schaffen. Die Feuchtigkeit zerstörte die Fasson, die zuvor glatt aufgerollten Haare hingen ihr in dünnen, gelockten dunklen Strähnen ums Gesicht. Sie hätte Haarspray mitnehmen sollen. Sie kämmte alles nach hinten, so gut es ging.
Der Regen hatte aufgehört, als sie herauskam, wieder schien die Sonne, und das nasse Pflaster glitzerte. Sie machte sich auf den Weg. Ihre Beine waren unsicher, wie in der Schule, wenn sie an die Tafel gehen musste, um eine Mathematikaufgabe zu lösen, oder sich vor die Klasse stellen musste, um Auswendiggelerntes aufzusagen. Nur zu bald gelangte sie zur Downie Street. Nur noch ein paar Minuten, und ihr ganzes Leben würde sich ändern. Sie war noch nicht bereit, aber sie hielt es nicht länger aus.
Nach der ersten Querstraße erblickte sie das altertümliche kleine Haus, eingeklemmt zwischen den Ladenfronten auf beiden Seiten.
Es kam näher, immer näher. Die Tür stand offen, wie bei den meisten Läden in der Straße – nur wenige hatten eine Klimaanlage eingebaut. Nur eine Gittertür war davor, um die Fliegen fernzuhalten.
Zwei Stufen hinauf, dann stand sie vor der Gittertür. Aber sie wartete einen Augenblick, bevor sie sie aufstieß, damit ihre Augen sich an das Halbdunkel drinnen gewöhnten und sie beim Hineingehen nicht stolperte.
Er war da, an dem Arbeitsplatz hinter dem Ladentisch, werkelte unter einer kahlen Glühbirne. Er saß vorgebeugt, war nur von der Seite zu sehen, vertieft in seine Arbeit an einer Uhr. Sie hatte eine Veränderung befürchtet. Sie hatte befürchtet, dass sie ihn nicht richtig in Erinnerung hatte. Oder dass Montenegro etwas verändert hatte – ihm einen neuen Haarschnitt, einen Bart gegeben hatte. Aber nein – er war ganz der Alte. Im Arbeitslicht, das auf seinen Kopf schien, waren dieselben Haarstoppeln zu sehen, sie glitzerten wie damals, silbern mit rötlichem Rost. Eine kräftige Schulter, leicht hochgezogen, ein aufgerollter Ärmel entblößte einen muskulösen Unterarm. Auf seinem Gesicht ein Ausdruck der Konzentration, des Eifers, des völligen Einverständnisses mit seiner Arbeit an dem Mechanismus, den er gerade unter den Händen hatte. Derselbe Gesichtsausdruck, der ihr im Sinn gewesen war, obwohl sie ihn noch nie bei der Arbeit an seinen Uhren gesehen hatte. Sie hatte sich vorgestellt, dass dieser Ausdruck ihr galt.
Nein. Sie wollte nicht hineingehen. Sie wollte, dass er aufstand, auf sie zu kam und die Gittertür aufmachte. Also rief sie ihn. Daniel. Sie scheute im letzten Moment davor zurück, ihn Danilo zu nennen, aus Angst, die fremden Silben ungeschickt auszusprechen.
Er hatte nichts gehört – wahrscheinlich jedenfalls, denn er sah erst einmal nicht auf. Dann sah er auf, aber nicht zu ihr – er schien etwas zu suchen, was er gerade brauchte. Aber beim Hochschauen erblickte er sie. Er räumte sorgfältig etwas aus dem Weg, stieß sich vom Arbeitstisch ab, stand auf und kam widerwillig auf sie zu.
Er schüttelte leicht den Kopf.
Seine Hand war ausgestreckt, um die Gittertür aufzumachen, tat es aber nicht. Sie wartete darauf, dass er etwas sagte, aber er sagte nichts. Er schüttelte wieder den Kopf. Er war verstört. Er stand still. Er sah von ihr fort, sah sich im Laden um – sah zur Phalanx der Uhren, als könnten sie ihm einen Rat oder Unterstützung geben. Als er ihr wieder ins Gesicht sah, schauderte er, und unwillkürlich – aber
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