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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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natürlich gehörig an. Aber sie war wirklich von Natur aus unbekümmert und der festen Überzeugung, dass ihr Leben unter einem besonderen Schutz stand.
    Er hätte das von sich nicht gesagt. Trotzdem hatte er die vage Vorstellung – er hätte nicht darüber reden können, ohne sich darüber lustig zu machen –, dass er für etwas Ungewöhnliches ausersehen war, dass sein Leben einen bestimmten Sinn haben würde. Vielleicht war es das, was sie zueinander hinzog. Aber der Unterschied war, dass er seinen Weg fortsetzen würde, sich nicht mit weniger zufrieden geben würde. Wie sie es tun musste – wie sie es schon getan hatte –, da sie ein Mädchen war. Der Gedanke an seine Möglichkeiten, die viel größer waren als alles, was Mädchen je kannten, versetzte ihn plötzlich in gute Laune, sodass er ihr gegenüber Mitleid empfand, auch Ausgelassenheit. Es gab Zeiten, da brauchte er sich nicht zu fragen, warum er mit ihr zusammen war, wenn mit Necken und Genecktwerden die Stunden mit sprühender Leichtigkeit verflogen.
    Das Wasser
war
köstlich und herrlich kalt.
    »Die Leute kommen ständig zu Tessa«, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber. »Man weiß nie, wann jemand hier ist.«
    »Ach, tun sie das?«, sagte er. Ihm kam der abenteuerliche Gedanke, dass sie vielleicht verdreht genug, unabhängig genug war, um mit einem Mädchen befreundet zu sein, das eine Halbprofessionelle war, eine ländliche Gelegenheitsprostituierte. Jedenfalls um mit einem Mädchen befreundet geblieben zu sein, das gefallen war.
    Sie las seine Gedanken – manchmal war sie schlau.
    »O, nein«, sagte sie. »So habe ich das überhaupt nicht gemeint. Also, das ist absolut die schlimmste Idee, die ich je gehört habe. Tessa ist die letzte auf der Welt … Das ist abscheulich. Du solltest dich was schämen. Sie ist die letzte … Du wirst schon sehen.« Ihr Gesicht war ganz rot geworden.
    Die Tür ging auf, und ohne das übliche ausführliche Abschiednehmen – oder überhaupt einen hörbaren Abschiedsgruß – kamen ein Mann und eine Frau in mittleren Jahren heraus, mitgenommen, aber noch nicht ganz am Ende, wie ihr Auto, gingen den Weg entlang, sahen zur Schaukel herüber, erblickten Ollie und Nancy, sagten aber nichts. Seltsamerweise sagte Nancy auch nichts, rief ihnen keine muntere Begrüßung zu. Das Paar ging zu den gegenüberliegenden Seiten des Wagens, stieg ein und fuhr fort.
    Dann trat eine Gestalt aus dem Schatten des Hauseingangs, und Nancy rief ihr zu.
    »He, Tessa.«
    Die Frau war gebaut wie ein stämmiges Kind. Ein großer Kopf, bedeckt mit dunklen, lockigen Haaren, breite Schultern, kurze, stramme Beine. Ihre Beine waren nackt, und sie war merkwürdig gekleidet – sie trug eine Matrosenbluse und einen Rock. Zumindest war das für einen heißen Tag merkwürdig, auch angesichts der Tatsache, dass sie kein Schulmädchen mehr war. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren es Kleidungsstücke, die sie früher für die Schule angezogen hatte, und da sie zur sparsamen Sorte gehörte, trug sie sie zu Hause auf. Solche Sachen waren unverwüstlich, und Ollies Ansicht nach schmeichelten sie der Figur eines Mädchens nie. Auch Tessa sah plump darin aus, nicht mehr und nicht weniger als die meisten Schulmädchen.
    Nancy führte ihn zu ihr und stellte ihn vor, und er sagte zu Tessa – in der einschmeichelnden Art, die sonst bei Mädchen auf offene Ohren traf –, dass er schon viel von ihr gehört habe.
    »Hat er nicht«, sagte Nancy. »Glaub ihm kein Wort. Ich habe ihn nur mitgebracht, weil ich einfach nichts mit ihm anzufangen wusste.«
    Tessas Augen hatten schwere Lider und waren nicht sehr groß, aber ihre Farbe war von überraschend tiefem, weichen Blau. Als sie Ollie ansah, leuchteten sie zu ihm ohne besondere Freundlichkeit oder Feindseligkeit oder auch nur Neugier auf. Sie blickten nur sehr tief und fest und machten es ihm unmöglich, weiterhin belanglose Artigkeiten zu äußern.
    »Kommt doch rein«, sagte sie und ging voran. »Ihr habt hoffentlich nichts dagegen, wenn ich mit dem Buttern weitermache. Ich saß gerade am Butterfass, als mein letzter Besuch kam, und ich habe aufgehört, aber wenn ich nicht bald weitermache, wird es nichts mit der Butter.«
    »Am Sonntag das Butterfass rühren, wie ungezogen«, sagte Nancy. »Siehst du, Ollie. So wird Butter gemacht. Du hast doch bestimmt gedacht, sie kommt fertig und abgepackt aus der Kuh raus. Mach nur weiter«, sagte sie zu Tessa. »Wenn du müde wirst, kannst du mich ja eine Weile

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