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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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völlig gleichgültig ist.
    Einmal habe ich Ollie dabei ertappt, dass er ganz leise zu Wilfs Klavierspiel mitsang.
    »Es dämmert sacht und Peer Gynt erwacht …«
    »Was?«, flüsterte ich.
    »Nichts«, sagte Ollie. »Das spielt er gerade.«
    Ich ließ es mir von ihm buchstabieren. P-e-e-r G-y-n-t.
    Ich müsste mehr über Musik wissen, das wäre dann ein Interesse, das ich mit Wilf teilen könnte.
    Das Wetter ist umgeschlagen, es ist plötzlich heiß geworden. Die Pfingstrosen sind voll erblüht und groß wie Babypopos, und die Blütenblätter der Spiräensträucher fallen herunter wie Schnee. Mrs. Box sagt immer wieder, wenn das so weitergeht, dann wird bis zur Hochzeit alles verdorrt sein.
    Während ich das schreibe, habe ich drei Tassen Kaffee getrunken und mir noch nicht mal die Haare frisiert. Mrs. Box sagt: »Du wirst deine Gewohnheiten sehr bald ändern müssen.«
    Damit meint sie, dass Elsie Dingsbums zu Wilf gesagt hat, sie wird in den Ruhestand gehen, damit ich das Haus führen kann.
    Also ändere ich jetzt meine Gewohnheiten und verabschiede mich vorläufig von meinem Tagebuch. Ich hatte immer das Gefühl, dass mir im Leben etwas ganz Ungewöhnliches widerfahren wird und dass es wichtig sein wird, alles festzuhalten. War das nur so ein Gefühl?

Das Mädchen in der Matrosenbluse
    »Glaub ja nicht, dass du dich hier auf die faule Haut legen kannst«, sagte Nancy. »Ich habe eine Überraschung für dich.«
    Ollie sagte: »Du steckst ständig voller Überraschungen.«
    Das geschah an einem Sonntag, und Ollie hatte gehofft, sich auf die faule Haut legen zu können. Was er an Nancy nicht immer schätzte, war ihre Energie.
    Er nahm an, dass sie die bald brauchen würde, für die Führung des Haushalts, wie sie Wilf – in seiner sturen, bürgerlichen Art – selbstverständlich erwartete.
    Nach der Kirche hatte Wilf sich sofort ins Krankenhaus begeben, und Ollie hatte sich Nancy und ihrem Vater angeschlossen, um bei ihnen zu Mittag zu essen. Sonntags war das eine kalte Mahlzeit – Mrs. Box ging an diesem Tag in ihre eigene Kirche und gönnte sich am Nachmittag eine lange Ruhepause in ihrem eigenen Häuschen. Ollie hatte Nancy geholfen, die Küche aufzuräumen. Aus dem Esszimmer kamen durchdringende Schnarcher.
    »Dein Vater«, sagte Ollie nach einem Blick ins Zimmer. »Er schläft in seinem Schaukelstuhl mit der
Saturday Evening Post
auf den Knien.«
    »Er gibt nie zu, dass er am Sonntagnachmittag schläft«, sagte Nancy, »er denkt immer, er wird lesen.«
    Nancy trug eine Schürze, die man sich nur um die Taille bindet – keine Schürze, wie man sie für ernsthafte Küchenarbeit trägt. Sie nahm sie ab und hängte sie über den Türknauf und bauschte vor einem kleinen Spiegel neben der Küchentür ihre Haare auf.
    »Ich sehe grässlich aus«, sagte sie mit klagender, nicht unzufriedener Stimme.
    »Das ist wahr. Ich weiß gar nicht, was Wilf an dir findet.«
    »Pass auf, oder ich knall dir eine.«
    Sie führte ihn zur Tür hinaus um die Johannisbeersträucher herum unter den Ahornbaum, an dem – das hatte sie ihm schon zwei- oder dreimal erzählt – früher ihre Schaukel hing. Dann auf dem Gartenweg hinter den Grundstücken bis zum Ende der Straße. Niemand mähte seinen Rasen, da Sonntag war. Es war sogar überhaupt niemand in den Gärten, und die Häuser wirkten abgeschlossen, stolz und beschützerisch, als befänden sich in jedem würdige Personen wie Nancys Vater, vorübergehend der Welt entrückt, während sie sich der wohlverdienten Ruhe hingaben.
    Das bedeutete nicht, dass die Stadt völlig still war. Am Sonntagnachmittag fielen die Leute vom Lande und die Leute aus den Dörfern über den Strand her, der ungefähr eine viertel Meile entfernt am Fuß einer Steilküste lag. Es erklang ein Gemisch aus spitzen Schreien von der Wasserrutsche und dem Gekreisch planschender und spritzender Kinder und Autohupen und dem Tuten des Speiseeiswagens und dem Gebrüll junger Männer im Taumel der Angeberei und den Rufen der Mütter im Taumel der Besorgnis. All das zusammen in einem einzigen diffusen Getöse.
    Am Ende des Weges, auf der anderen Seite einer ärmeren, ungepflasterten Straße, stand ein leeres Gebäude, das laut Nancy das alte Eishaus war, und dahinter lag ein leeres Grundstück und eine Bohlenbrücke über einen trockenen Graben, und dann waren sie auf einem Weg, der gerade breit genug für ein Auto war – oder besser für eine Pferdekutsche. Auf beiden Seiten dieses Weges wuchsen Mauern aus

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