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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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schon zurechtgemacht, und die dunkelgrünen Vorhänge verengten den Durchgang, als er sie zu ihrem Waggon begleitete. Alle Waggons hatten Namen, ihrer hieß Miramichi.
    »Das ist er«, flüsterte sie auf dem Gang zwischen den Waggons, er hatte schon die Hand ausgestreckt, um für sie die Tür aufzustoßen.
    »Dann verabschieden wir uns hier.« Er zog die Hand zurück, und sie suchten das Gleichgewicht auf dem ruckelnden Boden, damit er sie gründlich küssen konnte. Als das fertig war, ließ er sie nicht los, sondern hielt sie in den Armen, strich ihr über den Rücken und küsste sie über das ganze Gesicht.
    Aber sie entzog sich und sagte flehentlich: »Ich bin noch Jungfrau.«
    »Ja, ja.« Er lachte und küsste ihren Hals, dann ließ er sie los und stieß die Tür vor ihr auf. Sie gingen den Gang entlang, bis sie ihr Bett gefunden hatte. Sie wandte sich um, stand mit dem Rücken am Vorhang und erwartete, dass er sie noch einmal küssen oder berühren würde, aber er schritt vorbei, fast, als seien sie sich zufällig begegnet.
    *
    Wie dumm, wie fatal. Angst, natürlich, dass seine streichelnde Hand tiefer hinuntergleiten und den Knoten erreichen würde, den sie gemacht hatte, um die Binde am Gürtel zu befestigen. Wenn sie zu den Mädchen gehört hätte, die sich auf Tampons verlassen können, hätte das nicht zu passieren brauchen.
    Und warum Jungfrau? Nachdem sie im Willis Park keine Mühe gescheut hatte, um sicherzugehen, dass dieser Zustand kein Hindernis mehr sein würde? Sie musste darüber nachgedacht haben, was sie zu ihm sagen sollte – sie konnte ihm auf keinen Fall sagen, dass sie menstruierte –, falls er versuchte, die Dinge voranzutreiben. Wie konnte er überhaupt solche Pläne gehabt haben? Wie denn? Wo denn? In ihrem Bett, mit so wenig Platz und den Reisenden um sie herum, die wahrscheinlich alle noch wach waren? Im Stehen, vor und zurück schwankend, an eine Tür gepresst, die jederzeit jemand aufmachen konnte, in diesem zugigen Gang zwischen den Waggons?
    Jetzt konnte er allen erzählen, wie er einen ganzen Abend lang einer kleinen Gans zugehört hatte, die damit prahlte, was sie alles über griechische Mythologie wusste, und wie sie schließlich – als er ihr einen Gutenachtkuss gab, um sie loszuwerden – aufschrie, sie sei noch Jungfrau.
    Er hatte auf sie nicht den Eindruck gemacht, ein Mann zu sein, der das tat, der so redete, aber sie konnte nicht umhin, es sich vorzustellen.
    Sie lag bis weit in die Nacht hinein wach, schlief aber fest, als der Zug in Regina hielt.
    *
    Sich selbst überlassen, könnte Juliet das Haus erkunden. Aber sie tut nichts dergleichen. Es dauert mindestens zwanzig Minuten, ehe sie Ailos Anwesenheit zurückdrängen kann. Nicht, dass sie Angst hat, Ailo könnte zurückkommen, um sie zu kontrollieren oder etwas zu holen, was sie vergessen hat. Ailo ist keine Frau, die Dinge vergisst, nicht mal am Ende eines anstrengenden Tages. Und wenn sie gedacht hätte, Juliet könnte etwas stehlen, hätte sie sie einfach hinausgeworfen.
    Sie ist jedoch eine Frau, die Anspruch auf Raum erhebt, besonders auf Küchenraum. Alles unter Juliets Blicken spricht von Ailos Tätigkeit, angefangen bei den Topfpflanzen (Kräuter?) auf dem Fensterbrett und dem Hackblock bis hinunter zu dem blanken Linoleum.
    Und als Juliet es geschafft hat, Ailo zurückzudrängen, nicht aus der Küche hinaus, aber hinter den altmodischen Kühlschrank, trifft sie auf Christa. Eric hat eine Frau. Natürlich hat er eine. Christa. Juliet sieht eine jüngere, eine verführerische Ailo. Breite Hüften, kräftige Arme, lange Haare – völlig blond ohne Weiß –, Brüste, die ungeniert unter einem weiten Hemd wippen. Derselbe aggressive – und, bei Christa, sexuell aufreizende – Verzicht auf Schick. Dieselbe genüssliche Art, auf den Worten herumzukauen und sie dann auszuspucken.
    Zwei andere Frauen kommen ihr in den Sinn. Brisis und Chrysis. Jene Gespielinnen von Achilles und Agamemnon. Jede beschrieben als eine »von den schönen Wangen«. Als der Professor dieses Wort ablas (das ihr jetzt nicht einfallen will), hatte seine Stirn sich stark gerötet, und er schien ein Kichern zu unterdrücken. Von diesem Augenblick an verachtete Juliet ihn.
    Wenn also Christa sich als eine gröbere, nördlichere Form von Brisis/Chrysis erweist, wird Juliet fähig sein, auch Eric zu verachten?
    Aber wie wird sie das je in Erfahrung bringen, wenn sie zur Hauptstraße hinunterläuft und in den Bus steigt?
    In Wirklichkeit hatte

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