Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
blickte.
    »Er wurde geblendet, weil er so schön war, aber Hephaistos kam ihm zu Hilfe. Dann wurde er trotzdem getötet, von Artemis, aber in ein Sternbild verwandelt. Das passierte oft, wenn jemand von Bedeutung in große Not geriet, dann wurde er oder sie in ein Sternbild verwandelt. Wo ist Cassiopeia?«
    Er führte sie zu einem nicht ohne weiteres erkennbaren W.
    »Das soll eine Frau sein, die sich hinsetzt.«
    »Das war auch wegen der Schönheit«, sagte sie.
    »Schönheit war gefährlich?«
    »Und ob. Sie war mit dem König von Äthiopien verheiratet, und sie war die Mutter von Andromeda. Sie rühmte sich ihrer Schönheit und wurde zur Strafe an den Himmel verbannt. Gibt es da nicht auch eine Andromeda?«
    »Das ist eine Galaxie. Sie müssten sie heute Abend sehen können. Das ist das Entfernteste, was man mit bloßem Auge erkennen kann.«
    Auch, als er sie führte, sie anwies, wohin sie schauen sollte, berührte er sie nicht. Natürlich nicht. Er war verheiratet.
    »Wer war Andromeda?«, fragte er sie.
    »Sie wurde an einen Fels gekettet, aber Perseus hat sie befreit.«
    *
    Whale Bay.
    Ein langer Pier, eine Reihe großer Fischerboote, eine Tankstelle mit einem Laden, in dessen Schaufenster ein Schild darauf hinweist, dass dies auch die Bushaltestelle und das Postamt ist.
    Ein neben diesem Laden geparktes Auto hat im Fenster ein selbst gemachtes Taxischild. Sie bleibt da stehen, wo sie aus dem Bus gestiegen ist. Der Bus fährt weiter. Das Taxi hupt. Der Fahrer steigt aus und kommt auf sie zu.
    »So ganz allein«, sagt er. »Wo wollen Sie denn hin?«
    Sie fragt ihn, ob es etwas gibt, wo Touristen übernachten können. Ein Hotel gibt es offenkundig nicht.
    »Ich weiß nicht, ob jemand in diesem Jahr Zimmer vermietet. Ich könnte drin mal nachfragen. Kennen Sie denn niemand hier?«
    Ihr bleibt nichts übrig, als Erics Namen zu nennen.
    »Ach so«, sagt er erleichtert. »Steigen Sie ein, ich bringe Sie in null Komma nichts hin. Aber tut mir leid, die Leich ist so gut wie vorbei.«
    Anfangs denkt sie, dass er
Laich
gesagt hat. Sie denkt an Laichzeit und Lachsfischerei.
    »Traurige Zeit«, sagt der Fahrer und setzt sich ans Lenkrad. »Aber sie konnte ja nie mehr gesund werden.«
    Leich
. Die Ehefrau. Ann.
    »Macht nichts«, sagt er. »Ich denke mal, einige sind immer noch da. Natürlich haben Sie die Beerdigung versäumt. Gestern. Einfach riesig. Konnten Sie nicht weg?«
    Juliet sagte: »Nein.«
    »Ich sollte es aber nicht Leich nennen, wie? Leich ist ja das, was man vor der Beerdigung hat, nicht? Ich weiß nicht, wie man das nennt, was hinterher stattfindet. Man kann's ja schlecht eine Party nennen, oder? Ich kann Sie eben hochfahren und Ihnen die vielen Blumen und Gebinde zeigen, ja?«
    Landeinwärts, abseits der Fernstraße, ist nach etwa einer viertel Meile Fahrt auf einer holprigen Schotterstraße der Whale-Bay-Union-Friedhof. Und dicht am Zaun ist der völlig unter Blumen begrabene Erdhügel. Verwelkte echte Blumen, leuchtende Kunstblumen, ein kleines Holzkreuz mit dem Namen und den Daten. Glitzernde, verkrunkelte breite Bänder, die über den Friedhof verweht worden sind. Er weist sie auf die vielen Reifenspuren hin, die tiefen Furchen, die die vielen Autos gestern hinterlassen haben.
    »Die Hälfte von denen ist ihr nie begegnet. Aber sie kannten ihn und wollten unbedingt kommen. Alle kennen Eric.«
    Sie wenden und fahren zurück, aber nicht ganz bis zur Fernstraße. Juliet will dem Fahrer sagen, dass sie es sich anders überlegt hat, sie möchte niemanden besuchen, sie möchte im Laden auf den Bus in die andere Richtung warten. Sie kann ja sagen, dass sie sich wirklich im Tag geirrt hat und sich jetzt so schämt, die Beerdigung versäumt zu haben, dass sie überhaupt nicht hingehen möchte.
    Aber sie bringt kein Wort heraus. Und er wird sowieso von ihr berichten.
    Sie folgen schmalen, gewundenen Seitenstraßen, vorbei an vereinzelten Häusern. Jedes Mal, wenn sie an einer Einfahrt vorbeifahren, ohne einzubiegen, stellt sich das Gefühl einer Galgenfrist ein.
    »Na, das ist ja eine Überraschung«, sagt der Fahrer, und jetzt biegen sie doch ein. »Wo sind denn alle hin? Ein halbes Dutzend Autos, als ich vor einer Stunde vorbeigefahren bin. Sogar sein Laster ist weg. Party zu Ende. Entschuldigung – das hätte ich nicht sagen sollen.«
    »Wenn niemand da ist«, sagt Juliet eifrig, »kann ich doch einfach wieder mit runterfahren.«
    »Ach, jemand wird schon da sein, keine Sorge. Ailo ist da. Das ist ihr

Weitere Kostenlose Bücher