Tricks
Juliets Kaffeetasse, dann ihre eigene. Sie holt sich selbst ein Stück Kuchen. Es hat unten eine rosarote Schicht, darauf liegt eine cremige Schicht.
»Rhabarbervanillekuchen. Muss gegessen werden, wird sonst schlecht. Ich brauche das nicht, aber ich esse es trotzdem. Soll ich Ihnen ein Stück holen?«
»Nein, danke.«
»So. Eric ist weggefahren. Er kommt heute Abend nicht zurück. Glaube ich jedenfalls nicht. Er ist zu Christa gefahren. Kennen Sie Christa?«
Juliet schüttelt knapp den Kopf.
»Hier leben wir alle so, dass wir die Situation der anderen kennen. Gut kennen. Ich weiß nicht, wie das ist, wo Sie leben. In Vancouver?« (Juliet nickt.) »In einer Großstadt. Da ist das anders. Damit Eric so gut seine Frau pflegen kann, muss er Hilfe haben, verstehen Sie? Ich bin eine, die ihm hilft.«
Sehr unklug fragt Juliet: »Aber werden Sie nicht bezahlt?«
»Sicher werde ich bezahlt. Aber es ist mehr als ein Job. Auch die andere Art Hilfe von einer Frau, die braucht er. Verstehen Sie, was ich sage? Keine Frau mit einem Ehemann, daran glaube ich nicht, das ist nicht schön, so was gibt nur Streit. Zuerst hatte Eric Sandra, dann ist sie weggezogen, und er hat Christa. Eine kleine Weile waren Christa und Sandra zusammen da, aber sie waren gute Freundinnen, es war kein Problem. Aber Sandra hat ihre Kinder, sie will zu größeren Schulen umziehen. Christa ist Künstlerin. Sie macht Sachen aus Holz, das man am Strand findet. Wie nennt man dieses Holz?«
»Treibholz«, sagt Juliet widerwillig. Sie ist gelähmt von Enttäuschung, von Scham.
»Richtig. Sie bringt sie in Geschäfte, und die verkaufen sie für sie. Große Sachen. Tiere und Vögel, aber nicht real. Nicht real?«
»Nicht realistisch?«
»Ja. ja. Sie hat nie Kinder gehabt. Ich glaube nicht, dass sie wegziehen will. Hat Eric Ihnen das gesagt? Wollen Sie noch Kaffee? Es ist noch welcher in der Kanne.«
»Nein. Nein, danke. Nein, hat er nicht.«
»Na. Jetzt habe ich es Ihnen gesagt. Wenn Sie fertig sind, nehme ich die Tasse zum Abwaschen.«
Sie macht einen Umweg, um mit dem Fuß den gelben Hund zu stupsen, der auf der anderen Seite des Kühlschranks liegt.
»Du musst aufstehen. Faules Mädchen. Bald gehen wir nach Hause.«
»Es gibt einen Bus zurück nach Vancouver, der kommt um zehn nach acht durch«, sagt sie und macht sich dabei mit dem Rücken zum Zimmer an der Spüle zu schaffen. »Sie können mit mir nach Hause kommen, und wenn es Zeit ist, wird mein Mann Sie fahren. Sie können mit uns essen. Ich nehme mein Fahrrad, ich fahre langsam, damit Sie Schritt halten können. Es ist nicht weit.«
Die unmittelbare Zukunft scheint so fest vorgegeben zu sein, dass Juliet ohne einen Gedanken aufsteht und sich nach ihrer Reisetasche umsieht. Dann setzt sie sich wieder hin, aber auf einen anderen Stuhl. Dieser neue Blick auf die Küche scheint ihr Entschlusskraft zu geben.
»Ich glaube, ich bleibe hier«, sagt sie.
»Hier?«
»Ich habe nicht schwer zu tragen. Ich werde zum Bus laufen.«
»Wie wollen Sie den Weg finden? Es ist eine Meile weit.«
»Das ist nicht weit.« Juliet fragt sich, wie sie den Weg finden soll, aber dann denkt sie, dass man eigentlich nur bergab zu gehen braucht.
»Er kommt nicht zurück«, sagt Ailo. »Nicht heute Abend.«
»Das macht nichts.«
Ailo zuckt groß, vielleicht verächtlich, die Achseln.
»Steh auf, Pet.Hoch.« Über die Schulter sagt sie: »Corky bleibt hier. Soll sie lieber drin oder draußen bleiben?«
»Lieber draußen.«
»Dann binde ich sie an, dass sie nicht nachgelaufen kommt. Vielleicht will sie nicht bei einer Fremden bleiben.«
Juliet sagt nichts.
»Die Tür fällt ins Schloss, wenn Sie rausgehen. Wenn Sie also vors Haus gehen und wieder rein wollen, müssen Sie hier draufdrücken. Aber wenn Sie weggehen, drücken Sie nicht drauf. Dann ist die Tür abgeschlossen. Verstehen Sie?«
»Ja.«
»Früher haben wir nie abgeschlossen, aber jetzt sind hier zu viele Fremde.«
*
Nachdem sie die Sterne betrachtet hatten, hielt der Zug eine Weile lang in Winnipeg. Sie stiegen aus und vertraten sich die Beine in einem derart eisigen Wind, dass es wehtat, Atem zu holen oder gar zu sprechen. Nachdem sie wieder in den Zug eingestiegen waren, setzten sie sich in den Salonwagen, und er bestellte Brandy.
»Wird uns aufwärmen und Sie in Schlaf wiegen«, sagte er.
Er legte sich nicht schlafen. Er wollte sitzen bleiben, bis er in Regina aussteigen musste. Irgendwann gegen Morgen.
Die meisten Schlafwagenbetten waren
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