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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Schritten vom Bahnsteig herunter.
    »Sie hat euch nicht im Stich gelassen«, sagte Juliet. Sie sprach bewundernd, wie offenbar von ihr erwartet wurde. Sie hatte vergessen, dass ihre Eltern das Auto so nannten, obwohl sie selbst sich diesen Namen ausgedacht hatte.
    »Sie lässt uns nie im Stich«, sagte Sara, sobald sie mit Irenes Hilfe auf dem Rücksitz Platz genommen hatte. »Und wir werden sie auch nie im Stich lassen.«
    Juliet stieg vorn ein und wiegte Penelope, die wieder greinte. Die Hitze im Auto war ein Schock, obwohl es mit offenen Fenstern im spärlichen Schatten der Bahnhofspappeln gestanden hatte.
    »Eigentlich denke ich daran …«, sagte Sam, während er aus der Parklücke zurücksetzte, »denke ich daran, sie abzustoßen für einen Lieferwagen.«
    »Das ist nicht dein Ernst«, kreischte Sara.
    »Fürs Geschäft«, fuhr Sam fort. »Das wäre ein ganzes Stück praktischer. Und wir machen jedes Mal ein bisschen Reklame, wenn wir die Straße runterfahren, nur durch den Namen auf der Tür.«
    »Er will mich ärgern«, sagte Sara. »Wie soll ich in einer Kiste herumfahren, auf der
Frisches Gemüse
steht? Was soll ich sein, der Kohl oder der Kürbis?«
    »Halt lieber die Luft an, Frauchen«, sagte Sam, »sonst hast du keine Puste mehr übrig, wenn wir nach Hause kommen.«
    Nach nahezu dreißig Jahren als Lehrer an staatlichen Schulen des Landes – davon zehn an der letzten – hatte Sam plötzlich den Schuldienst quittiert und beschlossen, stattdessen Gemüse zu verkaufen. Er hatte sich schon immer einen großen Gemüsegarten gehalten, dazu Himbeersträucher, auf dem unbebauten Grundstück neben dem Haus, und sie hatten ihre Überschüsse an einige Leute in der Stadt verkauft. Aber jetzt wollte er damit offenbar für den Lebensunterhalt sorgen, sein Gemüse an Lebensmittelhändler verkaufen und vielleicht irgendwann an der Gartentür einen Marktstand einrichten.
    »Ist es dir wirklich ernst damit?«, fragte Juliet leise.
    »Darauf kannst du Gift nehmen.«
    »Wird dir das Unterrichten nicht fehlen?«
    »Nicht die Bohne. Ich hatte es satt. Es hing mir zum Hals raus.«
    Juliet dachte daran, dass ihm in all den Jahren nie an irgendeiner Schule die Stelle des Rektors angeboten worden war. Sie vermutete, dass es das war, was ihm zum Hals heraushing. Er war ein ungewöhnlicher Lehrer, einer, an dessen Späße und dessen Energie sich alle erinnern würden, einer, dessen Abschlussjahr anders war als alle anderen Schuljahre im Leben seiner Schüler. Trotzdem war er übergangen worden, immer wieder, und wahrscheinlich aus eben dem Grunde. Wenn man so wollte, konnte man von seinen Methoden behaupten, dass sie die Autorität untergruben. Also ließ sich denken, dass die Obrigkeit der Meinung war, er sei nicht der richtige Mann, um Autorität auszuüben, er richte an seinem Platz weniger Schaden an.
    Er mochte die Arbeit unter freiem Himmel, es fiel ihm leicht, Leute anzusprechen, wahrscheinlich würde es ihm gut damit gehen, Gemüse zu verkaufen.
    Aber Sara würde es abscheulich finden.
    Juliet gefiel es auch nicht besonders. Falls sie sich jedoch auf eine Seite würde schlagen müssen, dann auf seine. Sie mochte auf keinen Fall als Snob dastehen.
    In Wahrheit aber war sie der Überzeugung, dass sie – sie und Sam und Sara, aber besonders sie und Sam – allen anderen um sie herum überlegen waren. Was machte es also aus, wenn er Gemüse feilhielt?
    Sam sprach jetzt leiser, wie ein Verschwörer.
    »Wie heißt sie denn?«
    Er meinte das Baby.
    »Penelope. Wir werden sie nie Penny rufen. Immer Penelope.«
    »Nein, ich meine … ich meine, wie weiter.«
    »Ach so. Na ja, wahrscheinlich Henderson-Porteous. Oder Porteous-Henderson. Aber vielleicht ist das ein zu langer Bandwurm, wenn sie schon Penelope heißt. Wir wussten das, aber wir wollten Penelope. Wir müssen uns irgendwie einigen.«
    »Er hat ihr also seinen Namen gegeben«, sagte Sam. »Wenigstens was. Ich meine, das ist gut.«
    Juliet war für einen Augenblick überrascht, dann nicht mehr.
    »Natürlich hat er«, sagte sie. Und tat so, als begriffe sie nicht und fände es lustig. »Sie ist sein Kind.«
    »Ja, schon. Aber unter den Umständen.«
    »Ach, die Umstände. An die habe ich gar nicht gedacht«, sagte sie. »Wenn du damit meinst, dass wir nicht verheiratet sind, dann fällt das kaum ins Gewicht. Da, wo wir leben, bei den Leuten, die wir kennen, zerbricht sich niemand darüber den Kopf.«
    »Mag sein«, sagte Sam. »War er mit der ersten

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