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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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er, als sie im Auto saß. »Mich entschuldigen.«
    Bei Gretchen? Bei Mavis.
    Mrs. Travers kam von der Veranda herunter, mit dem Ausdruck dieser vagen Begeisterung, die ihr angeboren zu sein schien und an diesem Tag offenbar nicht zu bändigen war. Sie legte die Hand auf die Autotür.
    »Das ist gut«, sagte sie. »Das ist sehr gut. Grace, Sie schickt der Himmel. Sie werden versuchen, ihn heute vom Trinken abzuhalten, nicht wahr? Sie werden schon wissen, wie Sie es anstellen müssen.«
    Grace hörte diese Worte, schenkte ihnen aber keine Beachtung. Sie war zu entsetzt von der Veränderung an Mrs. Travers, von dem, was wie eine Vergrößerung des Körperumfangs wirkte, eine Steifheit in allen Bewegungen, eine Miene allgemeinen und fast fiebrigen Wohlwollens, eine weinerliche Dankbarkeit, von der ihre Augen überflossen. Und eine dünne Kruste, die sich um ihre Mundwinkel gebildet hatte, wie aus Zucker.
    *
    Das Krankenhaus war in Carlton Place, drei Meilen weit entfernt. An einer Stelle wölbte sich eine Straßenüberführung über die Eisenbahngleise, und sie nahmen sie mit solcher Geschwindigkeit, dass Grace den Eindruck hatte, das Auto habe auf dem Höhepunkt abgehoben, sie flögen. Es herrschte kaum Verkehr, und sie hatte keine Angst, außerdem konnte sie nichts tun.
    *
    Neil kannte die Krankenschwester, die in der Notaufnahme Dienst tat, und nachdem er ein Formular ausgefüllt hatte und der Schwester einen flüchtigen Blick auf Graces Fuß gewährt hatte (»Schöner Verband«, sagte die ohne Interesse), durfte er ihr die Spritze selbst verabreichen. (»Jetzt tut's nicht weh, aber kann sein, dass es später wehtut.«) Gerade als er fertig war, kam die Schwester wieder in die Kabine und sagte: »Ein junger Mann ist im Wartezimmer, um sie nach Hause zu bringen.«
    Sie sagte zu Grace: »Er sagt, er ist Ihr Verlobter.«
    »Sagen Sie ihm, sie ist noch nicht so weit«, sagte Neil. »Nein. Sagen Sie ihm, wir sind schon weg.«
    »Ich habe gesagt, Sie sind hier drin.«
    »Aber als Sie zurückkamen«, sagte Neil, »waren wir schon weg.«
    »Er hat gesagt, Sie sind sein Bruder. Wird er nicht Ihr Auto auf dem Parkplatz sehen?«
    »Ich habe hinten geparkt. Auf dem Ärzteparkplatz.«
    »Ganz schön pfiffig«, sagte die Schwester über die Schulter.
    Und Neil sagte zu Grace: »Sie wollten doch noch nicht nach Hause, oder?«
    »Nein«, sagte Grace, als sähe sie das Wort vor sich an der Wand geschrieben stehen. Als machte sie einen Sehschärfetest.
    Wiederum wurde ihr ins Auto geholfen, mit schlappender Sandale, und sie ließ sich auf der cremefarbenen Polsterung nieder. Sie bogen vom Parkplatz in eine Nebenstraße, verließen die Stadt auf ungewohntem Weg. Grace wusste, sie würden Maury nicht sehen. Sie brauchte nicht an ihn zu denken. Noch weniger an Mavis.
    Wenn sie später diesen Übergang, diesen Wandel in ihrem Leben beschrieb, dann konnte es sein, dass sie sagte, es war, als sei hinter ihr ein Tor knallend zugeschlagen. Aber damals gab es keinen Knall – nur Einwilligung durchströmte sie, die Rechte der Zurückgebliebenen wurden einfach gestrichen.
    Ihre Erinnerungen an diesen Tag blieben klar bis in alle Einzelheiten, auch wenn es Unterschiede darin gab, auf welche Teile sie näher einging.
    Und sogar bei einigen Einzelheiten muss sie sich geirrt haben.
    *
    Anfangs fuhren sie auf dem Highway 7 nach Westen. In Graces Erinnerung ist kein anderes Auto auf der Straße, und ihre Geschwindigkeit nähert sich dem Flug auf der Überführung. Das kann nicht so gewesen sein – es müssen Leute auf der Straße unterwegs gewesen sein, Leute, die an jenem Sonntagvormittag auf dem Heimweg waren. Auf dem Weg in die Kirche oder auf dem Heimweg von der Kirche. Neil drosselte bestimmt das Tempo, wenn er durch Ortschaften oder Vorstädte fuhr, ebenso wie für die vielen Kurven der alten Landstraße. Sie war es nicht gewohnt, in einem Kabrio mit heruntergeklapptem Verdeck zu fahren, Wind in den Augen, Wind, der nach ihren Haaren griff. Das vermittelte ihr die Illusion der gleichbleibenden Geschwindigkeit, der Fahrt wie im Fluge, der gelungenen Flucht – nicht fieberhaft, sondern wundersam, heiter.
    Und obwohl Maury und Mavis und der Rest der Familie aus ihren Gedanken gelöscht waren, blieb doch ein Stückchen von Mrs. Travers zurück, wollte nicht weichen, wiederholte im Flüsterton und mit seltsamem, verschämten Kichern ihre letzte Botschaft.
    Sie werden schon wissen, wie Sie es anstellen müssen
.
    Grace und Neil redeten natürlich

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