Tricks
auch eine Erleichterung sein musste, allein auf der Landstraße zurückzufahren und seine Eindrücke von seiner Grace neu zu ordnen, damit er von ganzem Herzen in sie verliebt bleiben konnte.
*
Die meisten Kellnerinnen reisten nach dem Labour Day, dem ersten Montag im September, ab, um wieder in die Schule oder aufs College zu gehen. Aber das Hotel blieb bis Thanksgiving am zweiten Montag im Oktober mit reduziertem Personal – darunter Grace – geöffnet. Es war die Rede davon, in diesem Jahr für eine Wintersaison oder wenigstens eine Weihnachtssaison Anfang Dezember wieder aufzumachen, aber niemand vom Küchen- oder Bedienungspersonal wusste, ob das ernsthaft geplant war. Grace schrieb an ihre Tante und ihren Onkel, als sei die Weihnachtssaison sicher. Sie erwähnte sogar überhaupt nichts von einer Schließung, höchstens vielleicht nach Neujahr. Damit sie sie nicht erwarteten.
Warum tat sie das? Nicht, dass sie andere Pläne hatte. Maury hatte sie gesagt, sie fände, sie sollte dieses eine Jahr darauf verwenden, ihrem Onkel zu helfen und vielleicht jemand anders anzulernen, während er, Maury, sein letztes College-Jahr absolvierte. Sie hatte sogar versprochen, ihn über Weihnachten einzuladen, damit er ihre Familie kennenlernen konnte. Und er hatte gesagt, dass Weihnachten eine gute Zeit für ihre förmliche Verlobung sei. Er sparte von seinem Sommerlohn, um ihr einen Brillantring zu kaufen.
Auch sie hatte ihren Lohn gespart. Sie würde in der Lage sein, den Bus nach Kingston zu nehmen, um ihn im Laufe seines Studienjahres zu besuchen.
Sie redete so leicht davon und versprach das so leicht. Aber glaubte sie oder wünschte sie gar, dass es so kommen würde?
»Maury ist grundanständig«, sagte Mrs. Travers. »Aber das wissen Sie ja selbst. Er wird ein reizender, unkomplizierter Mann sein, wie sein Vater. Nicht wie sein Bruder. Sein Bruder Neil ist hochintelligent. Ich will damit nicht sagen, dass Maury dumm ist, man wird bestimmt nicht Ingenieur ohne Hirnmasse im Kopf, aber Neil ist – er ist ein tiefes Wasser.« Sie lachte über sich selbst. »
Die unergründlich tiefen Höhlen des Ozeans bergen
… wovon rede ich eigentlich? Neil und ich, wir hatten lange Zeit nur einander und niemanden sonst. Deshalb ist er für mich anders. Ich will damit nicht sagen, dass er nicht unterhaltsam sein kann. Doch manchmal können gerade die unterhaltsamsten Menschen zu Schwermut neigen, nicht wahr? Man macht sich so seine Gedanken über sie. Aber was hat es für einen Sinn, sich um erwachsene Kinder Sorgen zu machen? Um Neil sorge ich mich ein wenig, um Maury nur ein ganz kleines bisschen. Und um Gretchen überhaupt nicht. Denn Frauen haben immer etwas, was sie bei der Stange hält, hab ich recht? Was Männer nicht haben.«
*
Das Haus am See wurde nie vor Thanksgiving geschlossen. Gretchen musste natürlich mit den Kindern wegen der Schule nach Ottawa zurück. Und Maury, dessen Arbeit beendet war, musste nach Kingston. Mr. Travers kam nur noch an den Wochenenden. Aber meistens, hatte Mrs. Travers zu Grace gesagt, blieb sie da, manchmal mit Gästen, manchmal allein.
Dann änderten sich ihre Pläne. Sie kehrte mit Mr. Travers im September nach Ottawa zurück. Das geschah unerwartet – das Sonntagabendessen wurde abgesagt.
Maury gab zu, dass sie hin und wieder Probleme mit den Nerven bekam. »Sie braucht eine Ruhepause«, sagte er. »Sie muss für zwei Wochen ins Krankenhaus, damit sie wieder ins Gleichgewicht kommt. Hinterher geht es ihr wieder gut.«
Grace sagte, seine Mutter sei für sie der letzte Mensch, bei dem sie so etwas erwartet hätte.
»Wodurch wird es ausgelöst?«
»Ich glaube, sie wissen es nicht«, sagte Maury.
Aber einen Augenblick später sagte er: »Na ja, es kann an ihrem Mann liegen. Ich meine ihren ersten Mann. Neils Vater. Was mit ihm passiert ist und so weiter.«
Neils Vater hatte sich nämlich umgebracht.
»Er war wohl labil.
Aber vielleicht ist es das gar nicht«, fuhr er fort. »Es könnten andere Dinge sein. Probleme, die Frauen in ihrem Alter haben. Es ist aber nicht schlimm – sie bringen sie jetzt ohne weiteres wieder auf die Beine, mit Medikamenten. Sie haben phantastische Medikamente. Kein Grund zur Sorge.«
*
Zu Thanksgiving war Mrs. Travers, wie Maury vorausgesagt hatte, nicht mehr im Krankenhaus und fühlte sich gut. Das Festessen fand wie üblich am See statt. Und es wurde am Sonntag eingenommen – was auch üblich war, damit am Montag Zeit blieb, um zu packen und
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