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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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aufpassen?«
    »Ja.«
    »Gut.«
    Die Stelle, die er fand, lag in einem Städtchen namens Fortune. Am Stadtrand war ein Park, am Ufer eines Flusses, mit einem geschotterten Parkplatz. Er verstellte die Rücklehne und schlief sofort ein. Die Dämmerung setzte jetzt bereits – was sie gerade tat – am späten Nachmittag ein und bewies, dass dies doch kein Sommertag war. Noch kurz zuvor war hier ein Thanksgiving-Picknick abgehalten worden – von einer Feuerstelle im Freien stieg immer noch Rauch auf, und der Geruch von Hamburgern hing in der Luft. Der Geruch machte Grace nicht unbedingt hungrig – er rief ihr in Erinnerung, unter anderen Umständen Hunger bekommen zu haben.
    Als er fest schlief, stieg sie aus. Sie war von all dem Anfahren und Abbremsen ihrer Fahrstunde ein wenig staubig. An einem städtischen Wasserhahn wusch sie sich Arme und Hände und das Gesicht, so gut sie konnte. Dann ging sie langsam, ihren verletzten Fuß schonend, zum Ufer des Flusses und sah, wie seicht er war, mit Schilf, das aus dem Wasser ragte. Ein Schild warnte davor, dass Gotteslästerung, Unzucht und unflätige Ausdrücke hier verboten waren und unter Strafe standen.
    Sie probierte die Schaukel, die nach Westen gerichtet war. Sie schwang sich hoch und blickte in den klaren Himmel – hellgrün, blassgold, mit einem leuchtend rosa Rand am Horizont. Die Luft wurde schon kalt.
    Sie hatte gedacht, es sei die Berührung. Münder, Zungen, Haut, Körper, Knochen gegen Knochen. Entflammtheit. Leidenschaft. Aber das war überhaupt nicht, was ihnen bestimmt war. Das war ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was sie inzwischen von ihm wusste, was sie inzwischen in ihm erblickt hatte.
    Was sie gesehen hatte, war endgültig. Als stünde sie am Rande einer ebenen, dunklen Wasserfläche, die sich endlos erstreckte. Kaltes, glattes Wasser. Schaute hinaus auf dies dunkle, kalte, glatte Wasser und wusste, mehr war da nicht.
    Der Alkohol war nicht dafür verantwortlich. Dasselbe lauerte überall, in allem und allezeit. Der Alkohol, die Trunksucht – das war nur ein Ablenkungsmanöver, wie alles andere.
    Sie ging zum Auto zurück und versuchte ihn aufzuwecken. Er rührte sich, ohne aber aufzuwachen. Also ging sie umher, um sich warm zu halten und mit dem schlimmen Fuß zu üben – ihr war inzwischen klar, dass sie am nächsten Morgen wieder arbeiten und das Frühstück servieren musste.
    Sie versuchte es noch einmal und redete auf ihn ein. Er antwortete mit gemurmelten Versprechungen und schlief sofort wieder ein. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte sie aufgegeben. Als die Kühle der Nacht einsetzte, wurde ihr noch Weiteres klar. Dass sie hier nicht bleiben konnten, dass sie sich immer noch in der alltäglichen Welt befanden. Dass sie selbst zurück musste nach Bailey's Falls.
    Mit einigen Schwierigkeiten bugsierte sie ihn auf den Beifahrersitz. Was ihn nicht aufweckte und was klarstellte, dass ihn nichts aufwecken konnte. Sie brauchte einige Zeit, um herauszufinden, wie die Scheinwerfer angingen, und dann lenkte sie das Auto langsam, ruckend, zurück auf die Straße.
    Sie hatte keine Ahnung, in welche Richtung sie fahren musste, und es war niemand auf der Straße, den sie fragen konnte. Sie fuhr einfach zum anderen Ende der Stadt, und dort fand sie zum Glück ein Schild, das unter anderem den Weg nach Bailey's Falls wies. Nur neun Meilen.
    Sie fuhr auf der zweispurigen Landstraße nie mehr als dreißig Meilen in der Stunde. Es herrschte wenig Verkehr. Ein- oder zweimal wurde sie von einem Auto überholt, das hupte, und die wenigen, die ihr entgegenkamen, hupten ebenfalls. In dem einen Fall geschah es wahrscheinlich, weil sie so langsam fuhr, und im anderen, weil sie nicht wusste, wie sie das Fernlicht abblenden sollte. Egal. Sie konnte nicht mitten auf der Straße anhalten, um wieder Mut zu schöpfen. Sie musste einfach weiterfahren, wie er gesagt hatte. Immer weiter.
    Anfangs erkannte sie Bailey's Falls nicht, da sie aus einer Richtung kam, die ihr nicht vertraut war. Als sie es dann doch erkannte, überkam sie größere Angst als während der ganzen neun Meilen. Es war eines, durch unbekanntes Gebiet zu fahren, aber etwas ganz anderes, durchs Tor der Gastwirtschaft zu fahren.
    Er war wach, als sie das Auto auf dem Parkplatz zum Stehen brachte. Er zeigte sich gar nicht überrascht davon, wo sie waren oder von dem, was sie getan hatte. Er erzählte ihr vielmehr, das Hupen habe ihn schon vor Meilen aufgeweckt, aber er habe sich schlafend gestellt, denn

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