Tricks
Abenteuerspaziergänge in die Stadt gegangen, während Eileen im Haus alles abschmirgelte und anstrich und tapezierte, da sie behauptete, allein schneller und besser voranzukommen. Von Harry hatte sie nur verlangt, dass er all seine Kartons mit Unterlagen, seinen Aktenschrank und seinen Schreibtisch in einen vermoderten kleinen Raum im Keller schaffte, ihr aus dem Weg. Lauren hatte ihm dabei geholfen.
Ein Karton, den sie aufhob, war merkwürdig leicht und schien etwas Weiches zu enthalten, nicht wie Papier, eher wie Stoff oder Garn. Gerade, als sie fragte: »Was ist das?«, sah Harry sie mit dem Karton in den Händen und sagte: »He.« Dann sagte er: »Oh Gott.«
Er nahm ihr den Karton aus den Händen und stellte ihn in ein Schubfach des Aktenschranks, das er zuknallte. »Oh Gott«, sagte er wieder.
Er hatte kaum je mit ihr in so rauher und aufgebrachter Weise gesprochen. Er sah sich um, als wolle er sichergehen, dass niemand sie beobachtet hatte, und schlug sich auf die Oberschenkel.
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du an den gerätst.« Er stützte sich mit den Ellbogen auf den Aktenschrank und legte die Stirn in die Hände.
»Also«, sagte er. »Also, Lauren. Ich könnte mir jetzt irgendeine Lüge ausdenken, aber ich werde dir die Wahrheit sagen. Denn ich finde, dass man Kindern die Wahrheit sagen soll. Zumindest, wenn sie erst einmal in deinem Alter sind. Aber in diesem Fall muss es ein Geheimnis bleiben. Klar?«
Lauren sagte: »Klar.« Aber etwas gab ihr schon in diesem Augenblick den Wunsch ein, er möge es nicht tun.
»Da drin ist Asche«, sagte Harry. Seine Stimme wurde bei dem Wort
Asche
merkwürdig leise. »Keine gewöhnliche Asche. Die Asche von einem Baby. Dieses Baby ist gestorben, bevor du geboren wurdest. Klar? Setz dich.«
Sie setzte sich auf einen Stapel großer Notizbücher mit festem Einband, die Harrys schriftstellerische Versuche enthielten. Er hob den Kopf und sah sie an.
»Weißt du – was ich dir jetzt sage, das ist für Eileen ganz entsetzlich, und deshalb muss es ein Geheimnis bleiben. Deshalb hast du bisher nie etwas davon erfahren, denn Eileen kann es nicht ertragen, daran erinnert zu werden. Du verstehst also jetzt?«
Sie sagte, was sie sagen musste. Ja.
»Also dann – Folgendes ist geschehen, wir hatten ein Baby, bevor wir dich bekommen haben. Ein Mädchen, und als das Baby noch ganz, ganz klein war, ist Eileen schwanger geworden. Und das ist ein fürchterlicher Schock für sie gewesen, denn sie hatte gerade gemerkt, wie fürchterlich viel Arbeit ein Baby macht, und es ging ihr entsetzlich, sie bekam überhaupt keinen Schlaf mehr und musste sich übergeben, weil sie an morgendlicher Übelkeit litt. Aber nicht nur morgens, sie musste sich morgens, mittags, abends und nachts übergeben, und sie wusste einfach nicht, wie sie das durchstehen sollte. Die Schwangerschaft. Und eines Abends, als sie völlig außer sich war, da ist sie irgendwie auf die Idee gekommen, dass sie raus musste. Und sie hat sich ins Auto gesetzt und das Baby in seinem Bettchen mitgenommen, und es war schon dunkel, und es hat geregnet, und sie ist zu schnell gefahren und hat eine Kurve nicht geschafft. So. Das Baby war nicht richtig gesichert und ist aus seinem Bettchen geschleudert worden. Und Eileen hatte gebrochene Rippen und eine Gehirnerschütterung, und eine Weile lang sah es so aus, als würden wir beide Babys verlieren.«
Er holte tief Luft.
»Ich meine, das eine hatten wir schon verloren. Als es aus seinem Bettchen geschleudert wurde, ist es gestorben. Aber das, mit dem Eileen schwanger war, das haben wir nicht verloren. Denn. Das warst du. Du verstehst? Du.«
Lauren nickte, kaum den Kopf bewegend.
»Und der Grund, warum wir dir das nicht gesagt haben – neben Eileens Gemütszuständen –, ist, dass wir Angst hatten, du könntest das Gefühl haben, nicht willkommen gewesen zu sein. Nicht von Anfang an. Aber du musst mir einfach glauben, du warst willkommen. Ach, Lauren. Das warst du. Das bist du.«
Er nahm die Arme vom Aktenschrank, ging zu ihr und drückte sie an sich. Er roch nach Schweiß und nach dem Wein, den er und Eileen zum Abendessen getrunken hatten, und Lauren war das sehr unangenehm und peinlich. Die Geschichte erschütterte sie nicht, obwohl die Asche ein bisschen gruselig war. Aber sie glaubte ihm aufs Wort, dass sie für Eileen schlimm war.
»Streitet ihr euch deswegen immer?«, fragte sie, wie nebenbei, und er ließ sie los.
»Die
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