Tricks
heimzugehen.
Sobald alle im Empfangsraum waren, packten zwei der Mädchen sie und schoben sie zu dem Tresen, hinter dem die Frau aus dem Restaurant saß und auf einer Rechenmaschine etwas ausrechnete.
Diese Frau – das wusste Lauren schon von Harry – hieß Delphine. Sie hatte lange feine Haare, die vielleicht weißblond oder aber auch ganz weiß waren, denn sie war nicht mehr jung. Bestimmt musste sie diese Haare oft aus dem Gesicht schütteln, wie sie es jetzt tat. Hinter einer Brille mit dunklem Rand wölbten sich violett gefärbte Lider. Ihr Gesicht war breit, wie ihr ganzer Körper, blass und glatt. Aber sie hatte nichts Träges an sich. Ihre Augen, die jetzt aufblickten, waren von hellem, flachen Blau, und die Frau sah von einem Mädchen zum anderen, als könne kein noch so niederträchtiges Verhalten sie überraschen.
»Das ist sie«, sagten die Mädchen.
Die Frau – Delphine – sah jetzt Lauren an. »Lauren? Stimmt das?«
Lauren sagte verwirrt ja.
»Ich hab sie nämlich gefragt, ob es in der Schule ein Mädchen gibt, das Lauren heißt«, sagte Delphine und sprach von den anderen Mädchen, als seien sie schon in einiger Entfernung, aus ihrem Gespräch mit Lauren ausgeschlossen. »Ich hab sie gefragt wegen etwas, das hier gefunden worden ist. Es muss jemand im Coffee Shop heruntergefallen sein.«
Sie machte eine Schublade auf und hob eine Goldkette hoch. An der Kette hingen die Buchstaben LAUREN .
Lauren schüttelte den Kopf.
»Nicht deine?«, fragte Delphine. »Schade. Ich hab schon die Kinder aus der High School gefragt. Na, dann werde ich sie wohl hierbehalten müssen. Vielleicht kommt ja jemand zurück und sucht sie.«
Lauren sagte: »Sie können ja eine Anzeige in die Zeitung von meinem Dad setzen.« Dass sie einfach »in die Zeitung« hätte sagen sollen, wurde ihr erst am nächsten Tag klar, als sie in der Schule auf dem Korridor an einigen Mädchen vorbeikam und eine affektierte Stimme
»die Zeitung von meinem Dad«
sagen hörte.
»Ja, kann ich«, sagte Delphine. »Aber dann können alle möglichen Leute ankommen und behaupten, das sei ihre. Und sogar über ihren Namen lügen. Die ist aus Gold.«
»Aber sie könnten sie nicht tragen«, wandte Lauren ein, »wenn das nicht ihr richtiger Name ist.«
»Das vielleicht nicht. Aber ich traue es ihnen glatt zu, sie trotzdem abzuholen.«
Die anderen Mädchen strebten zur Damentoilette.
»He, ihr«, rief Delphine ihnen nach. »Betreten verboten.«
Die Mädchen drehten sich überrascht um.
»Weshalb denn?«
»Weil das Betreten verboten ist, deshalb. Ihr könnt woanders rumalbern.«
»Vorher haben Sie uns noch nie verboten, da reinzugehen.«
»Vorher war vorher, und jetzt ist jetzt.«
»Die ist doch öffentlich.«
»Ist sie nicht«, sagte Delphine. »Die im Rathaus ist öffentlich. Also verschwindet.«
»Dich habe ich nicht gemeint«, sagte sie zu Lauren, die den anderen schon folgen wollte. »Tut mir leid, dass die Kette nicht dir gehört. Schau mal in ein oder zwei Tagen wieder rein. Wenn keiner sich meldet und nach ihr fragt, also ich denke mal, immerhin ist dein Name dran.«
Lauren kam am nächsten Tag wieder. An der Kette lag ihr eigentlich gar nichts – sie konnte sich nicht vorstellen, mit dem eigenen Namen am Hals herumzulaufen. Sie wollte nur etwas zu erledigen haben, ein Ziel. Sie hätte ins Zeitungsbüro gehen können, aber nachdem sie gehört hatte, wie die anderen
»die Zeitung von meinem Dad«
sagten, hatte sie keine Lust mehr dazu.
Sie hatte beschlossen, nicht hineinzugehen, wenn Mr. Palagian und nicht Delphine hinter dem Tresen saß. Aber Delphine war da und goss eine hässliche Pflanze am Fenster.
»Ah gut«, sagte Delphine. »Keiner ist gekommen und hat danach gefragt. Warte noch, bis die Woche rum ist, ich hab so ein Gefühl, du kriegst sie doch noch. Du kannst um diese Tageszeit immer reinkommen. Nachmittags arbeite ich nicht im Coffee Shop. Wenn ich nicht hier bin, drück einfach auf die Klingel, ich bin irgendwo in der Nähe.«
Lauren sagte: »Ist gut«, und wollte gehen.
»Magst du dich einen Moment setzen? Ich dachte, ich hole eine Tasse Tee. Hast du schon mal Tee getrunken? Darfst du Tee trinken? Oder möchtest du lieber eine Limonade?«
»Zitronenlimo«, sagte Lauren. »Bitte.«
»Im Glas? Möchtest du ein Glas? Eis?«
»Es geht auch so«, sagte Lauren. »Danke.«
Delphine brachte trotzdem ein Glas, mit Eis. »Sie kam mir nicht kalt genug vor«, sagte sie. Sie fragte Lauren, wo sie sitzen wolle – in
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