Tricontium (German Edition)
mehr gerührt.
Falls die Richterin bemerkte, wie erschöpft er war, war es ihr gleichgültig.
»Ist das alles, was er mir ausrichten lässt?«, fragte sie nur knapp und hob nebenbei eine Hand, um Gjukis Schwanzspitze von ihrem Ohr fortzubefördern.
Vielleicht hätte Wulfila über den Anblick gelächelt, wenn er es gewagt hätte, in Herrads Gegenwart anders als ernsthaft und höflich dreinzusehen. »Nein. Er lässt Euch sagen, dass Ihr Euch keinesfalls selbst zum Brandhorst begeben sollt. Fernerhin rät er, auf seinen verletzten Arm und mögliche bleibende Schäden zu verweisen, die ihn für Euren Dienst ungeeignet machen könnten, wenn der Fürst ein übertriebenes Lösegeld zu verlangen versucht.«
»Hat Asgrim ihm gegenüber Forderungen geäußert?«
»Nein, soweit ich weiß. Und wenn es ihm nur um das Geld zu tun wäre, hätte er für einen Verwundeten einen besseren Unterbringungsort als ein Verlies wählen sollen.«
Es war Herrad gelungen, Gjuki mit sanftem Nachdruck auf ihren Arm zu setzen, wo er sich nun leidlich ruhig eingerichtet hatte. »Ihr wart mit ihm dort, nehme ich an.«
»Seit man ihn vorgestern brachte, bis heute Morgen.«
»Weshalb wart Ihr dort?«
Wulfila fand, dass das Gespräch sich bedenklich einem Verhör zu nähern begann. Sie hätte sich die Frage gewiss auch selbst beantworten können – und was ging ein Diebstahl auf Asgrims Land die Richterin überhaupt an? Darüber hatte sie nicht zu befinden.
»Ich hatte einen Kürbis gestohlen«, sagte er dennoch ehrlich, um rasch hinzuzufügen: »Doch die Sache ist mittlerweile geklärt.«
Zum ersten Mal kräuselten sich die Lippen der Richterin. »Ihr seid über die Jahre nicht anspruchsvoller geworden. Wenigstens laufen Kürbisse nicht so schnell wie Hühner, nicht wahr? Aber gut. Sagt mir noch eines. Warum sollte ich Euch die Geschichte abnehmen?«
Sehr zu Wulfilas Leidwesen war diese Frage alles andere als unberechtigt. »Sie ist wahr«, entgegnete er. »Aber Ihr werdet sagen, dass das kein guter Grund ist, zumal Euch die Möglichkeit fehlt, sie nachzuprüfen. Was sonst kann ich Euch also sagen? Lasst mich nachdenken … Wenn man Euch betrügen wollte, hätte man nicht mich als Boten gewählt, sondern jemanden, der Euch mehr Vertrauen einflößen könnte. Und außerdem ist der Drache mitgegangen. Wenn ich Ardeija etwas Böses getan hätte, würde er mich wohl verabscheuen.«
Herrad runzelte die Stirn. »Dieser Drache verabscheut niemanden, der ihm nur lange genug den Rücken streichelt, ganz gleich, was Ardeija sagen mag. Beginnen wir es also anders … Warum tut Ihr Ardeija den Gefallen? Nein, erinnert mich nicht daran, dass Ihr ganz hilfsbereit sein könnt, wenn Ihr wollt, das weiß ich! Doch in einem Tag vom Brandhorst hierher zu wandern, mit einem Kind, und obwohl es Euch nicht gut geht … Das ist mehr als ein kleiner Dienst.«
»Man schlägt einem Freund eine solche Bitte nicht ab.«
»Einem Freund, sagt Ihr.« Herrads Blick war forschend geworden. »Ihr schließt Eure Freundschaften schnell, wenn anderthalb Tage in einem Kerker genügen, jemanden zu Eurem Freund zu machen.«
»Wir kannten uns schon früher … Von vor dem Krieg«, sagte Wulfila und betete, dass Herrad sich mit dieser Angabe begnügen und nicht die Frage stellen würde, wer er vor Bocernae gewesen war. Die Rede hätte leicht auf seinen Vater kommen können, und wenn das geschah, würde daraus womöglich größerer Ärger erwachsen als aus allen Kürbisdiebstählen und Hühnerentführungen. So war er nicht undankbar für die Unterbrechung, die eintrat, bevor die Richterin nachhaken konnte.
Während sie miteinander gesprochen hatten, war ein Mann herangekommen, in dem Wulfila einen ihrer Schreiber zu erkennen glaubte, und hatte Herrad durch ein Zeichen bedeutet, dass er ihr etwas mitzuteilen habe; nun flüsterte er ihr rasch einige Sätze ins Ohr, die Wulfila nicht verstand.
Die Richterin nickte leicht. »Es ist gut, Oshelm«, entgegnete sie und reichte den Drachen an den Schreiber weiter. »Aber seht einmal her … Wir haben Nachricht von Ardeija, oder doch jemanden, der behauptet, uns Aufschluss über sein Schicksal geben zu können.«
»Dazu sollte er wohl in der Lage sein, wenn er Gjuki hergebracht hat«, sagte Oshelm durchaus zutreffend, wenngleich mit einer gewissen Missbilligung, die eher Wulfilas Person als seiner Botschaft gelten mochte.
Die Richterin hatte die Arme verschränkt. »Er sagt, dass Ardeija auf dem Brandhorst festgehalten
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