Tricontium (German Edition)
er und strich sich behaglich den Bart. »Ein Wunder dagegen ist etwas Göttliches, das zu tun man sich nicht anmaßen sollte; man könnte nur scheitern.« Noch im Sprechen hatte er behutsam die Hand nach dem verletzten Arm ausgestreckt. Die erste Berührung war kaum spürbar, doch Ardeija zuckte zusammen und bedauerte, einen zappelnden Gjuki festhalten zu müssen. Es hätte gut getan, nun zum Schutz gegen alles Finstere, was sich hinter der gleichmütigen Maske des Magus verbergen mochte, die vertrauten Formen von Kreuz und Bernstein zwischen den Fingern zu spüren.
»Ihr habt nicht seine Einwilligung«, wandte Wulfila ein. »Ihr …« Der Satz blieb unvollendet, ebenso wie die Bewegung, die dazu hatte dienen sollen, Malegis zurückzudrängen.
»Du hältst dich heraus!«, befahl Theodulf, als sei der harte Schlag ins Gesicht, den er Wulfila mit dem Handrücken versetzt hatte, nicht Aufforderung genug zu völliger Zurückhaltung gewesen.
Für einen Augenblick herrschte Totenstille; dann war Ardeija mit einer Leichtigkeit, die er sich selbst nicht zugetraut hatte, auf den Beinen. Es kümmerte ihn nicht weiter, dass er Malegis im Aufspringen beinahe umwarf und dass es Gjuki gelungen war, sich seinem Griff zu entwinden; er benötigte die gesunde Hand ohnehin, um Asgrims Schwertmeister beim Kragen zu packen. »Rührt ihn noch einmal an, und Ihr seid tot! Und nun entschuldigt Euch gefälligst.«
Theodulf machte sich mit verblüffender Sanftheit los, doch seine eisblauen Augen blieben kalt und ungerührt. »Ihr habt mir nicht zu sagen, wie ich mit einem Dieb im Kerker meines Fürsten zu verfahren habe. Lasst nun den Magus seine Arbeit tun und beklagt Euch nicht länger.«
»Man schlägt niemanden in Gegenwart seines Kindes«, gab Ardeija zurück, obgleich die Welt sich wieder zu drehen begann, als die Kraft, die ihm die gerechte Empörung für kurze Zeit verliehen hatte, so rasch verflog, wie sie gekommen war, »vor allem nicht dafür, dass er die Wahrheit sagt.«
»Das lasst getrost mich entscheiden«, erwiderte der Schwertmeister, und vielleicht war sein Ausdruck immer noch gleichgültig, als Ardeija schwer zu Boden stürzte, vorüber an Wulfilas Hand, die ihn nur streifte, den Amuletten des Magus und Wulfins bleichem Gesicht, zurück in die Schwäche und Ohnmacht, die er glücklich überwunden geglaubt hatte. Das Letzte, was er hörte, bevor er vollends ins Dunkel hinüberglitt, war die Stimme des Zauberers: »Ihr verscheucht die guten Geister, Herr Theodulf – nun lasst den armen Drachen los und lasst mir heißes Wasser bringen!«
Als Ardeija wieder zu sich kam und sich benommen aufrichtete, war er allein.
4. Kapitel: Zerstörtes
Frau Herrads Haar hatte die Farbe reifer Kastanien.
Diese Beobachtung hätte Wulfila eigentlich nicht bedeutend erscheinen sollen; es gab Wichtigeres zu bemerken, etwa den Umstand, dass Herrad in den grasbewachsenen Trümmern dessen stand, was einmal Markgraf Otachars Hof gewesen war und nun den Mittelpunkt eines Ruinenfelds bildete. Aber um sich zu beruhigen und abzulenken hatte er vor gut fünfeinhalb Jahren eine lange Stunde damit zugebracht, darüber nachzusinnen, wie das Haar seiner Richterin unter ihrer makellosen weißen Haube wohl aussehen mochte. Es war ein kleiner Triumph, bestätigt zu finden, dass seine damalige Einschätzung nicht zu sehr von der Wirklichkeit entfernt gewesen war. Außerdem waren die nach höfischer Mode aufgesteckten Zöpfe der einzige schöne Anblick, den Tricontium zwischen eingefallenen Dächern, niedergerissenen Zäunen und geborstenen Mauern zu bieten hatte. Es war wohl vermessen gewesen, sich ein halbwegs tröstliches Ende für einen Tag zu wünschen, an dem er schon morgens einen Freund ohnmächtig im Kerker zurückgelassen hatte, um selbst einem übellaunigen Fürsten über einen Kürbisdiebstahl Rede und Antwort zu stehen und glaubhaft zu versichern, dass ein gewisser Drache nicht auch noch gestohlen, sondern durchaus freiwillig mitgekommen sei.
Doch als sie auf dem Brandhorst jede Hoffnung auf eine mehr oder minder angenehme Wanderung nach Tricontium aus ihm herausgeprügelt hatten, war er dumm genug gewesen, sich an Ardeijas schönem Versprechen festzuhalten, am Ende der Reise warte gewiss ein Bett für die Nacht. Für ein Bett hatte es sich gelohnt, einen Fuß vor den anderen zu setzen, immer weiter und noch ein Stück weiter, lächelnd und mit genügend heiteren Bemerkungen, um Wulfin zeitweise darüber hinwegzutäuschen, dass es seinem
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