Tricontium (German Edition)
Unglücklichen getauscht, denn Herrads Verlangen nach einem schriftlichen Bericht war gewiss nicht allein ein harmloses Mittel, den verdächtigen Boten beschäftigt und unter Aufsicht zu halten. Sie würde nach Widersprüchen suchen oder ihn, seine eigenen niedergeschriebenen Worte vor sich, noch einmal befragen, bis er etwas Falsches sagte.
Dennoch sammelte er stumm sein Bündel wieder auf, hielt Wulfins Hand weiter gut fest und folgte Oshelm zu dem geschützten Winkel zwischen den alten Mauern, in dem man ein notdürftiges Lager errichtet hatte. Es hätte keinen Sinn gehabt, sich zu weigern, und immerhin bestand Aussicht auf eine Mahlzeit, vielleicht sogar auf eine warme. Das war nicht zu verachten, auch wenn die Blicke, die Wulfin und ihn auf ihrem Weg an Herrads Leuten vorbei trafen, ihm deutlich machten, dass er hier bestenfalls als unwillkommener Eindringling galt, nicht als Gast.
Herrads Gefolge war eigenartig klein. Bis auf Oshelm und eine überschaubare Anzahl von Kriegern schien es nur aus einer schlecht gelaunten Magd, die eben einen Kessel über ein kleines Feuer hängte, und zwei Pferdeknechten zu bestehen. Niemand aber – und das erstaunte Wulfila noch weit mehr – schien Angehörige bei sich zu haben. Abgesehen von einem alten Hund, der die Ankunft Fremder ebenso wie alles andere mit philosophischer Ruhe hinnahm, schien sich kein Wesen hier zu befinden, das ohne eigentliche Aufgabe mit nach Tricontium gekommen war. Es waren weder Kinder noch alte Leute zu sehen, nicht einmal weitere Bedienstete, als wäre dies nicht der Haushalt einer Richterin, sondern ein Heereszug auf dem Marsch.
Bislang war Wulfila gar nicht der Gedanke gekommen, dass Ardeija gelogen haben könnte, als er ihm erklärt hatte, Frau Herrad solle neue Richterin in Tricontium werden, doch angesichts seiner Beobachtungen fragte er sich im Stillen, ob dies nicht in Wahrheit eine durch den Vogt von Aquae angeordnete geheime Erkundung der Verhältnisse in der Tricontinischen Mark war. Wenn es so stand, würde Oshelm darüber gewiss weder sprechen wollen noch dürfen. Folglich beschränkte Wulfila sich darauf, dem Schreiber zu danken, als er nach längerer Suche auf einem mit einer Plane abgedeckten Karren ein Reiseschreibpult für ihn aufgetrieben hatte, setzte sich auf ein ebenes Stück der Grundmauer von Otachars Stallungen und begann mit dem verlangten Bericht. Es war nicht einfach, alles, was sich zugetragen hatte, seit Theodulf und seine Männer einen halb ohnmächtigen Ardeija in den Turm auf dem Brandhorst geschleppt hatten, in knappe, klare Worte zu fassen, nicht nach einem langen Tag und bei schlechtem Licht, mit einem eigensinnigen kleinen Drachen, der nicht bei Oshelm hatte bleiben wollen, und einem unruhigen Wulfin, der müde hätte sein müssen und stattdessen zu aufgeregt war, still zu sitzen.
Das versprochene Abendessen ließ auf sich warten, doch Wulfila wusste bald nicht einmal mehr genau, ob er hungrig war. Eigentlich wäre ihm heißer Tee lieber gewesen, oder auch Salbe für seinen wundgescheuerten Knöchel und seinen armen Rücken. Es hätte allerdings wohl kaum einen Sinn gehabt, darum zu bitten oder gar zu hoffen, dass irgendjemand von sich aus Mitleid haben und sich zu einer freundlichen Geste bereitfinden würde. Oshelm war zwar in der Nähe geblieben, doch sah er, wann immer Wulfila aufblickte, derart missmutig drein, dass es nicht geraten schien, auch nur die Frage an ihn zu richten, ob er wusste, wie »Bockshornkleesamen« auf Latein hießen. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass er die Übersetzung tatsächlich im Kopf hatte, hätte er vermutlich schon aus reiner Bosheit nicht geantwortet.
Wulfila hatte sich eben damit abgefunden, sich mit einer umständlichen Umschreibung dessen, was Malegis in seine Medizin für Ardeija gemengt hatte, begnügen zu müssen, als jemand an ihn herantrat und aufs Beste das Licht des Feuers verstellte, das zu dem Schein der einen Kerze, die Oshelm hatte hergeben mögen, eine spärliche Ergänzung bildete. Die Unterbrechung war unwillkommen, denn der Besucher, ein alter Krieger, brachte nicht etwa eine Schüssel Suppe, sondern war anscheinend nur herbeigeschlendert, um Ardeijas Boten zu begaffen. Wulfila hob kurz den Kopf, um sich dann doch wieder seiner Schreibarbeit zuzuwenden, als der Mann ihn nicht ansprach, sondern nur in aller Seelenruhe begann, sich am Kinn zu kratzen. Doch Nichtbeachtung schien nicht auszureichen, um den lästigen Beobachter das Interesse verlieren zu
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