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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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Vater gar nicht gut ging. Die ersten Wegstunden hatte er so irgendwie hinter sich gebracht und dabei im Vorübergehen einige Äpfel in seinem Bündel, das ihm heute viel zu schwer vorkam, verschwinden lassen, ohne dass ein Gespenst oder ein lebender Mensch ihn dabei bemerkt hätte.
    Gegen Mittag war er dann zum ersten Mal misstrauisch geworden, als eine freundliche Alte, die am Waldrand Holz gesammelt hatte, auf seine Frage, ob er Tricontium noch vor Sonnenuntergang erreichen könne, zwar genickt, ihn aber sehr seltsam angesehen hatte, nicht abweisend, sondern mit einer Mischung aus Unverständnis und Mitgefühl. Doch das war rasch vergessen gewesen, da sie gleich darauf in die Tasche gelangt und Wulfin eine Handvoll Bucheckern geschenkt hatte.
    Erst als ein Stück hinter dem letzten Dorf, das sie passiert hatten, der Weg nach Tricontium in einen schmalen, von Gras und Unkräutern überwucherten Pfad übergegangen war, hatte Wulfila sich wieder an den Blick der Holzsammlerin erinnert.
    »Tricontium ist wohl nicht sehr groß, nicht wahr?«, hatte Wulfin gefragt.
    »Nein, nicht sehr groß«, hatte Wulfila erwidert und sich im Stillen gefragt, ob die bescheidene Ansammlung von Häusern, die sich vor dem Krieg um den Hof des Markgrafen geschart hatte, überhaupt noch stand.
    Nun hatte er seine Antwort. Tricontium hatte nicht einfach an Bedeutung verloren; es war schlicht verlassen und zerstört. Immerhin war die Richterin dort, und das war mehr, als Wulfila noch zu hoffen gewagt hatte, als er den halb abgetragenen Ringwall, den die Leute des Königs nach dem Krieg geschleift haben mussten, von weitem erspäht hatte.
    Herrad war in die Betrachtung eines Mauerstücks versunken gewesen, doch sie wandte sich um, als der Krieger, der die Neuankömmlinge abgefangen hatte, kaum dass sie sich dem alten Wall auf zehn Schritte genähert hatten, sie ehrerbietig ansprach: »Frau Herrad? Vergebt – doch es scheint, als hätte Eure Anwesenheit Bettler hergezogen. Der Mann da sagt, dass er Euch sprechen möchte.«
    Der dunkle Barsakhanenkaftan, den die Richterin trug, war derart von Schmutz und Staub bedeckt, dass Wulfila sich fragte, ob sie in sämtlichen Ruinen Tricontiums herumgeklettert und in jedes Kellerloch, das sie hatte entdecken können, gekrochen war. Der Ausdruck der Augen, die ihn nun geradewegs anblickten, hatte sich aber mit dem Ablegen der strengen Robe, in der er Herrad zuletzt gesehen hatte, nicht geändert. Die Richterin verstand sich darauf, einen glauben zu machen, dass sie jede Lüge durchschauen, jeden Fehler bemerken würde.
    Ein gutes Gedächtnis hatte sie außerdem, denn ohne merkliches Zögern sagte sie nun: »Keine Bettler, nein. – Was führt Euch her? Ihr würdet nicht herkommen, um mich um Geld oder Brot anzugehen, und auch sonst gibt es wohl kaum etwas, was Euch herlocken könnte.«
    Wulfila brachte, sogleich von Wulfin nachgeahmt, eine halbe Verneigung zustande; eine ganze war seinem schmerzenden Rücken gegenwärtig beim besten Willen nicht zuzumuten. »Ich komme als Bote. Ardeija schickt mich.« Dieser Hinweis war fast überflüssig, da Gjuki sich just in diesem Augenblick entschloss, den Kopf aus Wulfilas Mantel, unter dem er den größten Teil der Reise verbracht hatte, hervorzustrecken und die Richterin mit einem hellen Zirpen zu begrüßen, bevor er sich zu Boden gleiten ließ, um an ihren Kleidern hinauf auf ihre Schulter zu klettern und die rosige Schnauze an ihrer Wange zu reiben. Herrad schien derartige Liebkosungen von dem kleinen Drachen gewohnt zu sein, denn sie verzog keine Miene.
    »Ist er noch in Corvisium?«, fragte sie stattdessen mit einem Unterton von Besorgnis.
    Wulfila schüttelte den Kopf. »Er ist auf dem Brandhorst, in Asgrims Gewalt, und es geht ihm nicht sonderlich gut. Man hat ihn nach einem Kampf im Kranichwald gefangen genommen, doch was genau dort vorgegangen ist, hat er mir nur in Bruchstücken erzählt. Anscheinend hat man ihn absichtlich in einen Hinterhalt gelockt. Über die Gründe konnte er nur Vermutungen anstellen.« Er hatte viel zu hastig gesprochen, nicht so deutlich und geordnet, wie ein guter Bote seine Nachricht vortragen sollte, aber nun, da er für heute am Ziel war und nicht recht wusste, wie lange ihn seine Beine noch tragen würden, wollte er die Sache hinter sich haben. Das Bündel glitt ihm aus der Hand und traf härter, als es den Äpfeln bekommen würde, auf den Boden. Er hätte sich am liebsten ohne weitere Umstände daneben gesetzt und sich nicht

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