Tricontium (German Edition)
müssen, die vor den billigen Badehäusern herumlungern, wäre es alles weitaus schlimmer gewesen. Aber ich habe mich dennoch gerächt und es ihr auf dem Rückweg heimgezahlt, indem ich gegen jede Vernunft etwas mitgeschleppt habe, das nur sehr schwer unterzubringen und zu bewachen war. Während unseres letzten Monats in Isia wurde nämlich ein altes Haus abgerissen, das schon seit Römertagen dort gestanden haben muss, und als ich daran vorbeikam, fiel mir eine nur leicht beschädigte Statue auf, die man wohl ohne Bedenken noch weiter zerschlagen hätte, ein kleiner, wilder Faun. Ich fragte die Arbeiter, ob ich ihn haben könnte, und da keiner etwas dagegen hatte, habe ich ihn erst einmal in der Vogtei untergebracht. Und dann ist er mit uns gereist, immer auf einem eigenen Packtier, so dass wir langsamer vorankamen als auf dem Hinweg. Als auf Höhe von Valentia das Wetter schlecht wurde, wollte Justa mich zwar überzeugen, ihn nicht weiter mitzunehmen, aber darauf habe ich mich nicht eingelassen. Ich habe ihn heil nach Aquae gebracht.«
»Und wo ist dein kleiner Faun heute?« Wulfila konnte sich nicht erinnern, irgendetwas auch nur andeutungsweise an einen Faun Erinnerndes in Herrads Haus oder Garten gesehen zu haben.
Die Richterin lächelte. »Bei Magister Paulinus. Für den habe ich ihn doch mitgebracht. Paulinus sammelt alte Statuen, Säulenkapitelle und andere schöne Steine, alles, was er in den Trümmern von Aquae Calicis auftreiben und irgend bewegen kann. Er hatte in Masolacum eine große Sammlung solcher Dinge, aber die musste er wie fast alles andere zurücklassen, als er in die Verbannung geschickt wurde, und war immer sehr unglücklich darüber. Ich wusste, dass er sich über eine alte Statue aus Isia mehr als über alles andere freuen würde, auch wenn Justa meinte, ein schadhafter alter Stein wäre ein sehr schäbiges Mitbringsel. So ist sie eben; sie meint es gut, ohne zu verstehen, dass andere ihre Vorlieben nicht unbedingt teilen. Na, wie auch immer, er hat sich gefreut, nachdem er sein Entsetzen überwunden hatte, dass ich nicht in Isia geblieben war.«
»Geblieben? Aber ich dachte, du warst nur da, um von Crispinus zu lernen?«
»So war es auch, ja.« Herrad ließ eine Hand langsam durch das nach Rosmarin duftende Wasser gleiten. »Aber er war wohl aus irgendeinem Grunde ganz angetan von mir und wollte mich gern dabehalten. Sein Kanzler war alt und nicht mehr bei guter Gesundheit und wäre wohl auch einverstanden gewesen, wenn ich seine Nachfolgerin geworden wäre. Aber das wollte ich nicht.«
»Sie haben dir die Kanzlei eines Vogts angetragen, als du noch nicht einmal zwanzig Jahre alt warst, und du hast abgelehnt?«
Herrad lächelte mit etwas wie leiser Enttäuschung. »Meine Eltern und Paulinus haben auch nicht verstanden, wie ich ein solches Angebot ausschlagen konnte. Justa dagegen fand es von Anfang an sehr klug und vernünftig von mir. Sie meinte, ich solle lieber mit ihr nach Padiacum kommen, das wäre schließlich eine bedeutende Königsstadt, und wenn man etwas werden wolle, solle man gleich versuchen, ein Hofamt zu bekommen und nichts Geringeres. Weshalb ich zurück nach Aquae gegangen bin, hat auch sie nicht begriffen.« Sie hob die Hand und betrachtete das Wasser, das zwischen ihren Fingern hindurchrann. »Aber ich wollte nach Hause.«
»Das verstehe ich«, sagte Wulfila und meinte es ernst. »Wenn es so leicht wäre, weit weg zu gehen, wären mein Vater und ich nicht hier in der Gegend geblieben. Es soll ja sehr schön sein im Norden, jenseits der Grenze, nur ist es auch ziemlich anders dort … Und der Süden muss noch fremder sein. Eine Reise, gut, das mag angehen, aber für immer, und so ganz allein?«
Die meisten Leute, von denen er wusste, dass sie weiter als zwei oder drei Tagesreisen entfernt von dort, wo sie geboren waren, lebten oder gelebt hatten, waren zu mehreren dorthin gelangt, wie seine Großeltern väterlicherseits von Westen her oder Asri und ihr Vater von Osten, doch alle Verwandten und Freunde zurückzulassen und dann am anderen Ende des Reichs hängen zu bleiben, war keine sehr einladende Vorstellung.
»Auch die Reise war eigentlich schon fast zu lang«, sagte Herrad. »Als ich wiederkam, war mein Vater todkrank und lebte dann nur noch mehr schlecht als recht drei Monate, als hätte er mit dem Sterben gewartet, bis ich heil zurück war. Gut, das war nicht vorauszuahnen, aber mir war noch lange danach so, als hätte ich viel Zeit vergeudet, die ich besser
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