Tricontium (German Edition)
Selbstverständlichkeit, die nicht weiter betont werden musste.
Wulfila hätte gern geweint, doch das hätte wohl mehr Aufsehen erregt, als selbst Herrad in Kauf zu nehmen bereit war, und so spülte er die drohenden Tränen mit mehr Wein hinunter und lächelte die Richterin nur an.
»Lass mir auch noch etwas übrig!«, bat Herrad, als wolle sie gar nicht erst zu viel Rührung aufkommen lassen. »Ich muss schließlich morgen auf Reisen gehen, und das sollte man nur gut gestärkt tun.«
»Oh ja, gerade auf die unendlich lange Strecke nach Mons Arbuini sollte man sich sorgfältig vorbereiten!«
»Lach nur. Ich habe nicht mehr den Ehrgeiz, viel weitere Reisen zu unternehmen. Ich bin einmal im Leben bis nach Isia gekommen; das reicht für alle Zeiten.«
»Du warst in Isia? Ganz im Süden, am Meer?«, fragte Wulfila und sah vor seinem inneren Auge Wunderdinge aufsteigen, die er nur aus Erzählungen kannte, Olivenhaine, weit besser erhaltene römische Gebäude, als es sie hier oben gab, und ein unendlich blaues Meer, das anders und in jeder Hinsicht besser sein sollte als die Meere im Norden.
Herrad nickte. »Für fast ein Jahr. Es ist ja auch ganz schön da, wenn man davon absieht, dass es im Sommer viel zu heiß wird und dass die Leute eine ganz seltsame Spielart des Romanischen sprechen, so dass mein Latein zuerst kaum hingereicht hat, um durchzukommen … Alles in allem war ich über zwei Jahre fort von hier. Das muss ich nicht noch einmal haben.«
Wulfila musste die Fragen, die ihm auf der Zunge lagen, nicht stellen; die Richterin begann ganz von allein zu erzählen.
Es war Frühling, als Herrad in Begleitung zweier Krieger ihrer Mutter aufbrach, um den Westen und Süden des Reichs kennenzulernen und die Ausbildung, die sie bei Magister Paulinus erhalten hatte, zu vervollständigen. Sie war siebzehn Jahre alt und der Vogt hätte sie gern für einige Jahre in seine Kanzlei genommen, was ihr auch recht gewesen wäre, doch ihre Eltern und ihr magister iuris hatten ihr zugeredet, es ganz anders zu machen.
Magister Paulinus hatte nämlich einen alten Freund in Padiacum, der wiederum ein Mädchen unterrichtet hatte, das nach Isia gehen sollte, und hatte vorgeschlagen, dass die beiden jungen Frauen doch die Reise gemeinsam unternehmen könnten. Denn der Vogt von Isia war der berühmte Rechtsgelehrte Crispinus, der in seiner Jugend an der Kompilation der Leges et constitutiones mitgewirkt hatte, und da er bald danach Paulinus und seinem Freund einige Stunden erteilt und die beiden in freundlicher Erinnerung behalten hatte, war er nun bereit, auch an die Schülerinnen seiner ehemaligen Schüler einiges von seinem schier unerschöpflichen Wissen weiterzugeben.
Folglich ritt Herrad zunächst nach Padiacum, um dort ihre Reisegefährtin zu treffen, die sich glücklicherweise als jemand erwies, mit dem man auskommen konnte, wenn sie auch ihre Eigenarten hatte. Justa war etwa zwei Jahre älter als Herrad, aber nicht unbedingt viel erwachsener, und versicherte ihr schon am ersten Abend mit einer herzlichen Umarmung, sie würden gute Freundinnen sein und lustige Zeiten erleben.
Immerhin wurde das Reisen mit ihr weitaus bequemer, als es bis Padiacum gewesen war, denn Justa neigte nicht dazu, auf Annehmlichkeiten zu verzichten, wenn sie sie bekommen konnte, und da ihre Familie anscheinend über ein größeres Vermögen verfügte als ganz Aquae Calicis zusammengenommen, konnte sie das meist und hatte auch keine Schwierigkeiten damit, neben fünf Kriegern noch zwei Dienerinnen und einen zahmen Affen mitzuführen.
Das alles nahm Herrad gelassen hin; weniger glücklich war sie darüber, dass Justa auch andere Vergnügungen nicht gern entbehrte und alle paar Nächte in bezahlter Gesellschaft war. In den ersten Tagen versuchte Herrad noch schüchtern, auf mögliche Gefahren hinzuweisen, doch spätestens auf Höhe von Bibracte hatte sie dann die erste wichtige Lehre aus dieser Reise gezogen, die nämlich, dass es unmöglich war, andere zur Vernunft zu zwingen.
»Die hätte sich mit Ardeija gut verstanden«, sagte Wulfila lachend, »der war in dem Alter genauso schlimm, nur, dass er nicht so viel Geld hatte.«
»Ich bin froh und dankbar, dass sie es hatte«, entgegnete Herrad und stellte den geleerten Weinbecher ab. »So hat sie wenigstens nur geschminkte, nach Pfirsichen duftende Jünglinge und den ein oder anderen hübschen Krieger in unsere Quartiere geschleift. Wenn sie auf die Art von Knaben hätte zurückgreifen
Weitere Kostenlose Bücher